Das rote U

Ich war neun oder zehn Jahre alt, als mein Vater mir von einer Reise ein Buch mitbrachte, das mich schon wegen des Roten U auf dem auf dem schwarzen Leinen beeindruckte.

Das hat meine Mutter mir geschenkt, erklärte mein Vater, als ich etwa so alt war wie du jetzt. Auf der Flucht vor den Nazis ist es irgendwo liegen geblieben, ich bin froh, dass ich eine Ausgabe für dich im Antiquariat gefunden habe.

Wenige Tage später hatte ich das Buch ausgelesen, die spannende Geschichte „Das Rote U“.

Die Geschichte spielt in den Zwanziger Jahren. Vier Jungen und ein Mädchen bekommen in den Schulstunden Botschaften des geheimnisvollen Roten U. Der Absender stellt ihnen Aufgaben, an deren Ausführung sie Spaß haben und die sie gern erledigen. Aber die Aufgaben werden schwieriger und auch gefährlicher, sie sollen eine Verbrecherbande verfolgen…

Das Buch gehörte zu meinen Schätzen, und als ich es verborgte, tat ich das nur, weil ich in den Jungen, dem ich es borgte, ein klein wenig verliebt war.

Zwei Tage später bekam mein Vater einen Anruf des Vaters meines kleinen Freundes. Er habe das Buch bei seinem Sohn entdeckt, darin geblättert und es in den Ofen geworfen, denn es sei ein furchtbares Buch und man dürfe es Kindern auf keinen Fall geben und so weiter und so weiter… Der Vater des Jungen war Schriftsteller, aber er verstand leider nichts von Literatur. Ich trauerte lange um dieses Buch, aber irgendwann habe ich es vergessen.

Vor einigen Wochen fiel es mir wieder ein, ich suchte bei ebay - und wurde fündig. In den vergangenen Tagen habe ich es neu gelesen. Und ich fand auch die paar Sätze, die den Vater meines Kinderfreundes wohl so aufgeregt hatten. Die Kinder überlegen, wie sie jemanden zum Reden bringen könnten (es geht um die Rettung eines Entführten) und die Kinder wollen die Täter auf einen heißen Herd setzen, bis sie reden und haben mehr von derlei grausamen Ideen. Angesichts der Kenntnis von Schneewitchen und diversen anderen deutschen Märchen, sind die Vorschläge der Kinder nicht verwunderlich.

Mein bei ebay für 2,20 € erworbenes Exemplar ist nicht so schön, wie das meiner Kindheit. Ein blaues Taschenbuch, dem man ansieht, dass es schon zu D-Mark-Zeiten gedruckt wurde und inzwischen wohl mehrere Leser gehabt hat. Das macht nichts. Ich bin froh, dass ich es wieder lesen konnte, dass es ein schönes Buch ist und dass ich es weitergeben kann. Und das, obwohl der Autor Wilhelm Matthießen auch ganz schlimme Sachen geschrieben hat, wie ich inzwischen weiß.

Wilhelm Matthießen – Das Rote U 

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