Notizen in mehreren Akten – Nichts ist sicher – 2. Akt

(Wer den 1. Akt nicht gelesen hat, kann das nachholen – hier: KLICK)

2. Akt – Sicherheit der Wohnung

Wir schließen die Tür ab, wenn wir die Wohnung verlassen. Warum eigentlich?

Meine Großtante schloss niemals das Haus ab, wenn sie zum Dorfkonsum ging, im Gegenteil, die Haustür stand im Sommer weiterhin einladend offen. Die Gefahr, dass sich Diebe, Einbrecher in das weitabgelegene Dorf verirrten – ein wirkliches Ziel konnte es kaum sein – tangierte gen Null.

Niemand lässt in Berlin heutzutage seine Wohnungstür offenstehen, wenn er das Haus verlässt, es sei denn aus Versehen. Ich kenne jemanden, der kehrt sicherheitshalber immer (!) noch einmal zurück und rüttelt an der verschlossenen Tür: Sicher ist sicher.

Was könnte passieren, wenn wir die Tür nicht mehr abschließen würden? Die Chance, dass wir Opfer eines Einbruchs würden, ist nicht wesentlich größer als mit abgeschlossener Tür. Trotzdem fühlen wir uns sicherer, wenn wir abschließen.

Wer verteilt schon Ersatzschlüssel bei allen Nachbarn? Obwohl kaum zu erwarten ist, dass die Nachbarn sich unseres Eigentums bemächtigen könnten oder herumschnüffeln.
Wir möchten sicher sein, dass niemand sich in unsere Höhle einschleicht, etwas wegnimmt, oder auch einfach nur in unseren Dingen herumwühlt.

Davor haben wir Angst. Die Gefahr. dass das wirklich passiert, ist jedoch relativ gering, aber weil die eventuellen Folgen für uns vor allem psychisch so drastisch wären, haben wir Angst davor.

Die meisten von uns sorgen vor mit einer Hausratsversicherung, die uns für allerlei Fälle versichert: Gegen Wasser- und Feuerschäden und weitere unvorhersehbare Eventualitäten.

Angst lässt uns handeln: Kontrollieren, besorgt sein und für (vermeintliche) Sicherheit sorgen.

Ein teureres Schloss, eine bessere Verankerung der Tür, eine Versicherung gegen Einbruchsdiebstahl und so weiter und so fort. Und vergrößert das die Sicherheit? Meines Erachtens passt hier der Ausdruck: Nicht wirklich.

Angst ist das Gegenteil von Sicherheit. Angst spüren wir um vieles deutlicher – immer dann, wenn wir ein Stück Sicherheit verloren haben oder auch nur einfach den Verlust fürchten.

Unser Nest ist uns besonders wichtig.
Mir fallen die Störche in R. ein, die ihr Nest auf einem Schornstein bauten, der Wärme wegen nahmen sie wohl auch den Rauch in Kauf. Das schwere Nest geriet aber eines Tages in Brand, die Vögel verloren ihr Zuhause. Das Angebot auf einem anderen Schornstein zu nisten, nahmen sie nicht an. Es half auch nicht, als man das schwere Nest vom Schonstein mit einem Kran zu einer anderen Stelle bewegte. Die Tiere beharrten auf ihrem gewohnten Platz und bauten wieder auf dem gefährlichen Schornstein. Es lässt sich darüber streiten, ob das eher klug oder dumm ist.

Leben im Rauch - Störche in Rybokarty

Leben im Rauch РSțrche in Rybokarty

Die steigenden Mieten und soziale Unsicherheit, lässt immer mehr Menschen, den Verlust ihrer Wohnung fürchten. Diese Angst ist in den Städten naturgemäß ausgeprägter, weil hier weitgehend Mieter leben. Auf dem Land sind Häuser in persönlichem Eigentum häufiger. Insgesamt ist in Deutschland der Anteil derjenigen, die in einer Eigentumswohnung leben geringer, als in unseren Nachbarländern und überhaupt in Europa.

Aber auch die Eigentümer einer Wohnung sind keineswegs sicher, dass diese auch in ihren Händen bleibt. Plötzlich in eine unerwartete Lage geworfen, kann der Traum vom Eigentum schnell ausgeträumt sein. Ich kenne jemand, der erbte eine Eigentumswohnung und war sehr glücklich – bis die Eigentümerversammlung allerlei Renovierungen beschloss, die ihn in Schulden stürzte.
Krankheit, Alter oder beides zusammen, ein Unfall, eine Scheidung, die Unwägbarkeiten des Lebens – ebenso wie die unausweichlichen Übel bedrohen uns beim Erhalt unserer Wohnung, des Hauses, des Nestes. Die schönste Wohnung nützt nichts, wenn man nicht mehr in ihr leben kann, weil äußere Umstände zum Umzug oder Auszug zwingen. Nichts ist sicher.

Jemand aus meinem Umfeld behauptet immer wieder, es sähe bei ihm aus, wie bei „Schöner wohnen“. Mal ganz abgesehen davon, dass das nicht stimmt, weil bei „Schöner wohnen“ keine Schutzdecken auf den Sitzmöbeln liegen, macht zur Wohnung die Wohnung ja eigentlich erst das persönliche Bedürfnis, das sich niederschlägt in den gemieteten oder eigenen „vier“ Wänden.

Das Unverwechselbare, mit dem wir unsere Wohnung prägen, ihr einen Stempel aufdrücken – oder gerade das vermeiden – wie bei den Hochglanzfotos in „Schöner wohnen“, macht die Wohnung zu unserer Wohnung.

Damit unser Heim uns auch Heimat ist, bedarf es aber noch mehr: der Umgebung. Und damit ist mehr gemeint, als der Kastanienbaum auf dem Nachbarhof – wobei auch der. Es sind eben auch die Menschen um uns herum, sogar diejenigen, die wir nicht mögen, die uns „zu Hause“ sein lassen. Der Nachbar , der immer das gleiche Hitparadenlied laufen lässt, ebenso wie das Ehepaar von oben, das immer eingehakt die Treppe hochläuft, das Schreikind von unten und der undefinierbare Lärm aus dem Café nebenan.

Wir drehen den Schlüssel im Schloss um, wenn wir die Wohnung verlassen, weil wir uns den Raum bewahren wollen, der ein wichtiger Teil unseres Lebensgefühls ist. Die Wohnung ist ein wesentlicher Teil unserer sozialen Verwurzelung und fast allen Menschen ist das bewusst.

Die zunehmend sichtbare Obdachlosigkeit in den Städten macht gerade deshalb auch denjenigen Menschen Angst, die momentan noch in einer Wohnung zu Hause sind.
Nichts ist sicher – auch die Wohnung nicht.
Wenn wir die Obdachlosen unter der Brücke schlafen sehen, jetzt auch in Pankow, wenn wir Nachrichten hören über Flucht und Vertreibung auf der Welt weitweg und näherrückend, dann ahnen wir, dass wir einfach Glück haben, jedenfalls mehr als andere Menschen fast überall.

Einfach mal googlen, wie es so neuforsch heißt: Taskforce, Tiergarten, Berlin.

Überschrift in der Berliner Morgenpost: Taskforce lässt Zelte der Obdachlosen im Tiergarten abbauen.

Die unhaltbaren Zustände führen zu unhaltbaren Zuständen.

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Eine Antwort zu Notizen in mehreren Akten – Nichts ist sicher – 2. Akt

  1. Du pflegst in Deinen Text einen weit verbreiteten Irttum: Natürlich verringert sich die Gefahr eines Einbruchs, wenn die Tür abgeschlossen und womöglich auch noch zusätzlich gesichert ist. Geht mal zu einer Einbruchsberatungsetselle, die es in jeden größeren Stadt bei der Polizei gibt (weil die gerne Einbrüche verhindern, denn sie klären ja ohnehin nur sehr selbst welche auf).

    Wichtigster Punkt: Die größten Feinde von Einbrechern sind Licht, Lärm und Zeit. Ein Einbruch muss schnell gehen, möglichst lautlos und zumindest so dunkel, dass Zeugen die Täter später nicht zuverlässig identifizieren können.

    Erinnere Dich mal an B.s zugefallene Eingangstür in Berlin-Neukölln, die, weil nicht abgeschlossen, ein in solchen Dingen ganz offenkundig erfahrener Nachbar binnen weniger Sekunden lautlos öffnen konnte. Wäre die Tür nicht nur ins Schloss gefallen sondern abgeschlossen gewesen, hätte er es viel schwerer gehabt und auch Lärm machen müssen…

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