Der deutsche Unrechtsstaat

Das Land, in dem ich lebte, habe ich nicht verlassen. Als andere gingen, habe ich vielen traurig hinterhergesehen und gedacht, sie werden uns fehlen.

Das Land, in dem nun ich lebe, habe ich mir nicht ausgesucht. Ich blieb wo ich war, aber ich war plötzlich nicht mehr zu Hause.

Ich habe mein schmuddeliges, graues und unaufgeräumtes Zuhause geliebt, auch wenn das Dach kaputt war. Ich wollte putzen und aufräumen, die alten Möbel durch neue ersetzen, die Fenster größer machen und die Tür öffnen.

Ich träumte mit Becher: „Auferstanden aus Ruinen … dass nie mehr eine Mutter Ihren Sohn beweint“ und mit Brecht „Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand, dass ein bessres Deutschland blühe…“

In meinem neuen Land ist vieles anders, aber mir fällt wenig ein, was besser ist.

Einigkeit und Recht und Freiheit werden in diesem Land besungen, sind aber nicht einmal Zukunftsmusik.

Deutschland

Deutschland

 

Der Schutzwall – nicht mehr antifaschistisch –verläuft nun außen. Wer nicht das Glück der deutschen, passenden europäischen Geburt hat, darf nur bleiben, wenn er die Bedingungen erfüllt, die man sich ausgedacht hat, um hier Stacheldraht und Schießanlagen zu sparen. Man setzt heutzutage auf ferne Mauern und Wassergräben. Als sei es nicht das natürliche Recht des Menschen, den Ort, an dem er leben will, selbst zu bestimmen. Ein Staat, der Gesetze macht, die das anders regeln, macht Recht zu Unrecht und ist ein Unrechtsstaat. So einfach kann man das sehen.

Anna L., geboren 1903, verließ 1987 das eine Deutschland und ließ sich im anderen Deutschland nieder. Die weit über Achtzigjährige verlor dadurch ihre Rente, denn das Land, aus dem sie kam, hatte beschlossen, ihre Rente nicht in das andere Deutschland zu überweisen. Das Deutschland, in das sie kam, zahlte ihr die Mindestrente in Höhe von 370 M. Womit klar ist, dass Anna L. von West nach Ost zog, denn eine Mindestrente kennt das „westdeutsche“ Rentenrecht nicht. Man kann natürlich witzig finden, dass Anna L. ihre „alte“ Rente von 1600 DM nicht wiederbekam, als die DDR verschwand, sondern auf der DDR-Rente sitzenblieb, weil sie nicht schnell – bis spätestens zum 18. März 1990 – noch einmal den Wohnsitz wechselte. 800 Meter machten den Unterschied. So steht es im Gesetz.

Die meisten der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler, die im untergangenen Deutschland laut Reisefreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit forderten, leben heute von dessen Geschichte noch immer recht gut und haben es sich auf den Kissen der Vergangenheit bequem gemacht. Aufstehen für Bürgerrechte ist ihre Sache nicht. Dass arbeitslose Hartz4-Empfänger eine Erlaubnis vom Amt brauchen, um sich vom Wohnort zu entfernen und damit zum Beispiel kein Recht auf einen Besuch bei ihrer entfernt lebenden Mutter oder Freunden im benachbarten Ausland haben, schert sie offenbar nicht. Wer kein Geld hat, kann mit der Reisefreiheit ohnehin nichts anfangen.

Ein Staat, der durch gesetzliche Regelungen einen Teil seiner Bürger unter der Androhung des Entzugs des zum Leben Notwendigsten zwingt, sich einer Behörde und deren Mitarbeitern in einer Weise unterzuordnen, die einen Teil der Grundrechte faktisch außer Kraft setzt, ist ein Unrechtsstaat.

Rechte gelten in der Bundesrepublik Deutschland eben nicht für alle. Das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung, wird zu einer Lachnummer, wenn Empfänger von Sozialleistungen Außendienstmitarbeiter der Behörde in die Wohnung lassen müssen, weil sie sonst ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen und Leistungskürzungen bis zum vollständigen Entzug hinnehmen müssen. Allein die Tatsache, mit solchen Besuchen rechnen zu müssen, verbreitet ständige Angst.

Die so Gedemütigten können nicht einmal die Ausreise in ein anderes deutsches Land beantragen. Mit der DDR in Sichtweite wäre die moderne knechtende Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik nicht möglich gewesen.

Am 3. Oktober 1970 wurden auch zwei Kinder geboren, die von ihren Eltern den gleichen Namen bekamen: Andreas. Andreas Müller aus Castrop-Rauxel war vermutlich schwer erziehbar, während Andreas Müller aus Leipzig seinen Eltern wenig Sorgen machte. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Mutter von Andreas Müller aus Castrop-Rauxel etwa 28 € Mütterrente erhält, während für die Mutter von Andreas Müller aus Leipzig nur etwa 26 € gezahlt werden. Gerecht werden nur die Väter behandelt, sie bekommen beide nichts.

Erinnert sei an den Artikel 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
1. Jeder hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit.
2. Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
3. Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen.
4. Jeder hat das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu bilden und solchen beizutreten.

Die Bundesrepublik Deutschland verstößt mit ihrem Gesetz zum Mindestlohn schon wieder gegen die Menschenrechte. Langzeitarbeitslose sind vom Mindestlohn ausgenommen. Das betrifft 1 Million Menschen!

Ohnehin gibt es im Unrechtsstaat nicht für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Deutschland blieb geteilt in Ost und West. 25 Jahre nach der „Wende“ kann das nur ein Unrechtsstaat zulassen, denn es ist schreiendes Unrecht.

Unrecht auch: Für Arbeit im Westen und Arbeit im Osten gibt es unterschiedliche aktuelle Rentenwerte. Im Klartext bedeutet das, der Unterschied der Renten in Ost und West wird jetzt schon für die nächsten Jahrzehnte zementiert. Das kann nur ein Unrechtsstaat so regeln.

Während der Staatssicherheitsdienst der DDR und seine Mitarbeiter noch nach 25 Jahren zu Teufeln erklärt werden, die man bei Bedarf aus der Tasche zieht und pauschal zu Verbrechern erklärt – ohne dass sie je verurteilt worden wären, sind „befreundete Geheimdienste“ selbst dann für die Regierenden (den Staat) nicht wirklich problematisch, wenn sie Millionen Bürger unter Generalverdacht stellen und beschnüffeln. Kein Grund zur Kündigung der Freundschaft.

Auf dem Parkplatz eines Supermarktes, kaum 1 km von meinem Wohnort entfernt, stellte ich neulich fest: Hier wohnt die Armut. Wollankstraße im Westberliner Wedding. Läuft man die Straße entlang bis dort, wo die Mauer stand und läuft dann weiter in Richtung Florakiez im Ostberliner Pankow, ist es eindeutig. Die Grenze hat Bestand. Auch ohne Mauer. Sie verläuft in der Wollankstraße dort, wo sie früher auch war, aber das ist ein wenig zufällig. Die Armut wohnt in dieser Straße im Westen, der Reichtum im Osten. Die Armen sind relativ arm und die Reichen sind relativ reich. Die unterschiedlichen Biografien ihrer Kinder sind aber bereits jetzt vorhersehbar. Ein Staat, der das zulässt und durch Gesetze und Verordnungen manifestiert, ist ein Unrechtsstaat.

Die deutsche Einheit ist eine Fiktion. Die Art der deutschen Wiedervereinigung kein Grund zum Feiern. Die Grenzen verlaufen zwischen Arm und Reich, zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, zwischen Deutschen und Ausländern, zwischen Ost und West, Nord und Süd und so weiter und so fort.
Die Lage ist leider ziemlich hoffnungslos. Während sich die Presse auf Worte von Gregor Gysi stürzt und meint beweisen zu müssen, dass das untergegangene Land DDR ein Unrechtsstaat war, schweigt sie weitestgehend zu Unrecht im Lande und berichtet massenhaft tendenziös über das Ausland. Russland=Unrechtsstaat. Ukraine=Rechtsstaat.

Qualitätsjournalismus wohin man blickt. Das wirkt wie eine konzertierte Aktion zur Verblödung der Massen.
Am Tag der Deutschen Einheit kommt Spiegel online zu dem Schluss, dass die Ostdeutschen eher bereit sind, den Landesteil zu wechseln. Und beweist das so: „Fast jeder dritte, der in Ostdeutschland aufgewachsen ist, kann sich vorstellen, in den Westen umzuziehen. Unter den Westdeutschen ist die Bereitschaft zum Wechsel nicht ganz so groß, doch immerhin jeder zweite gibt sich hier mobil.“ (Inzwischen hat Spiegel-Online den Text leicht verändert :-))

Bildschirmbild

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Es geht uns gut im Deutschen Unrechtsstaat, denn die meisten von uns haben genug zu essen, ein Dach über dem Kopf und so einiges mehr, das es sich nach Ansicht der Mehrheit lohnt zu verteidigen, gegen den Rest der Welt. Grenzen zu, alles ist gut. Jedenfalls das Meiste. Und für den Rest haben wir ja den Rechtsstaat.

Ich will nicht ausreisen. Ich wüsste auch nicht wohin. Unrechtsstaaten wohin das Auge blickt. Ich bin hier zu Hause. Deutsch ist meine Sprache.

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