Ich mache euren Krieg nicht mit! Warum ich auch Bücher bei Amazon bestelle…

Der Feind ist gefunden: Amazon. Schlechte Arbeitsbedingungen, Erpressung von Autoren und so weiter und so fort. Die Liste der Vorwürfe ist lang und die meisten von ihnen sind durchaus berechtigt. Nun haben 909 Autoren in Amerika einen Protestbrief an Amazon geschrieben und in Deutschland tobt die intellektuelle Elite ebenfalls. Ein Boykott des großen Händlers wird gefordert und erklärt, dass man etwas falsch macht, wenn man seine Bücher bei Amazon kauft.

„Ich gestehe: Ich habe es auch getan. Sogar sehr oft. Wer in einem Dorf wohnt, in dem nur zweimal am Tag ein Bus hält, bestellt schnell mal bei Amazon. Langsam dämmert mir, dass ich da etwas falsch gemacht habe.“ schreibt Iris Radisch in der Zeit unter dem Titel „Brauchen wir Amazon?“. Der Teaser kündigt einen großen Amazon-Ratgeber an:
„Der Internetversandhändler diktiert der Welt die Regeln, nach denen Bücher gelesen, geschrieben und publiziert werden. 19 Autoren aus aller Welt beantworten sechs Fragen nach dem richtigen Umgang mit dem genialen Giganten.“(Artikel in der Zeit)

Die meisten dieser Autoren kaufen ihre Bücher nicht oder nur in Ausnahmefällen bei Amazon und werben dafür, es ihnen gleich zu tun. Diese Autoren gehören allerdings allesamt nicht zu den Menschen, die jeden Euro dreimal in der Tasche herumdrehen müssen, ehe sie ihn ausgeben. Sie nennen den bei Amazon kaufenden Konsumenten einen Lemming (Durs Grünbein) und vergessen dabei, dass der Buch-Konsument denselben Bedingungen unterworfen ist wie der Buch-Produzent, den Bedingungen eines Kapitalismus ohne Erbarmen. Gleich werden mir sicherlich unsere vergleichsweise guten Lebensbedingungen vorgehalten, die aber doch erkauft sind mit der Not, Elend und Krieg anderswo auf der Welt.

Macht doch einfach endlich die Grenzen auf – überall und für jedermann!

Das hat doch aber mit Amazon nichts zu tun? Doch! Amazon ist nichts anderes als ein Unternehmen, dass die digitale Globalisierung eher begriffen hat als andere und seine Macht ausbauen konnte, weil es verstanden hat, dass Kundenfreundlichkeit sich lohnt. Der mögliche Grad der Ausbeutung der deutschen Amazon-Mitarbeiter wird von deutschen Gesetzen sanktioniert.

Amazon ist böse, Thalia und der kleine Buchladen an der Ecke sind gut? Wir leben im Kapitalismus.

Es ist kein Witz, dass jemand der bei Thalia den „Schimmelreiter“ erwerben wollte, vom Buchhändler in die Ecke mit den Pferdebüchern geschickt wurde. Es ist auch nicht lustig, dass die intellektuelle Buchhändlerin aus meiner Gegend eine meiner Freundinnen, gefragt hat, was „eine wie sie, denn in einem Buchladen wolle“, weil die Kledage meiner Freundin offenbar nicht den Vorstellungen der Dame entsprach. Ich habe immer gern in Büchern geblättert und hineingelesen. Durch eine Buchhandlung zu schlendern und in das eine oder andere Buch zu schauen, ist ganz sicherlich ein Vergnügen. Aber viele der Bücher, in die ich in den letzten Jahren in einer Buchhandlung schauen wollte, waren gerade nicht vorrätig. Da musste ich dann zweimal zur Buchhandlung laufen und kaufte schließlich ein Buch, in das ich vorher keinen einzigen Blick werfen konnte. Bei Amazon kann ich einen „Blick ins Buch“ werfen – und es außerdem auch noch zurückschicken, falls es mir nicht gefällt.

Thalia (Marktführer in Deutschland) frisst seit Jahren kleine Buchhandlungen und Verlage und hat 2006 vorgeschlagen, die Verlage sollten sich finanziell am Ausbau und der Einrichtung neuer Firmenfilialen beteiligen. Vom Unternehmen gab es auch Angriffe auf die Buchpreisbindung. Bei Wikipedia heißt es: „Im Zuge des sich beschleunigenden Verdrängungswettbewerbs und der Filialisierung im Buchhandel fällt neben der Thalia-Gruppe und der Verlagsgruppe Weltbild auch die Mayersche Buchhandlungskette durch eine starke Expansion mit Ãœbernahmen von inhabergeführten Buchhandlungen und Neugründungen von Buchhäusern auf“(Wikipedia über Thalia).

Tja, wo soll der engagierte Leser seine Bücher kaufen? Am einfachsten, jeder besucht den Autor zu Hause. Man trinkt gemeinsam Kaffee und plaudert ein wenig über Gott und die Welt und kauft sein Buch direkt beim Produzenten, garantiert hat der Autor eine Druckerei im Keller. Da entfällt der gesamte Vertrieb und der Autor hat auch mehr vom Buch. Alternativ könnte man zum engagierten Einzelunternehmer, dem Buchhändler gehen, der vielleicht 25 km entfernt einen kleinen Laden betreibt. Wobei das „gehen“ eher zum „fahren“ würde und der Buchkauf einige Lebenszeit in Anspruch nehmen würde, von zusätzlichen Kosten für Benzin (Umweltverschmutzung!!!) oder Fahrkarten mal ganz abgesehen. In meiner Nähe befinden sich sogar mehrere kleine Buchhandlungen, aber keine ist mir wirklich sympathisch. Die eine macht auf „heiter-kriminalistisch“ und die andere hat sich durch oben erwähntes „Kledage-Geschichte“ disqualifiziert. Die boykottiere ich, wie eine Gaststätte in meiner Umgebung, die einen Rollstuhlfahrer abwies.

Kindle e-Book-Reader – ja ich habe einen, und ich habe insgesamt schon drei verschenkt. Den neuen Kindle Paperwhite hat die Stiftung Warentest zum Testsieger erklärt – die anderen acht getesteten e-Book-Reader konnten nicht mithalten. Eine ganze Bibliothek immer dabei zu haben, ist ein Luxus, den man sich mit den gedruckten Büchern nicht leisten kann. Irgendwann werde ich mich von der Mehrzahl meiner gedruckten Bücher verabschieden müssen, weil ich den Platz für sie nicht mehr habe. Ich bin froh, dass ich viele von ihnen dann in digitaler Form „in die Hand nehmen“ kann. Und wenn ich nicht selbst lesen kann, liest mir der Kindle sogar vor.

„Seit Jahren weiß man, dass Amazon nicht nur ein Postbote, sondern ein freundlicher Diktator ist, der es auf die gesamte Wertschöpfungskette des Buches abgesehen hat. Sein Ziel ist die totale und globale Kontrolle über die Welt der Buchstaben: Auf seiner Self-Publishing-Plattform kann jeder veröffentlichen, aus den Lektürewegen der Kindle-Leser werden Fahrpläne für neue Amazon-Bücher, aus den Nutzerdaten und den Amazon-Rezensionen generieren sich neue Konzernstrategien. Niemand auf der Welt weiß so viel über den Kreislauf des Lesens, Schreibens und Publizierens wie die Rechner in Seattle“ (Zeit online – Artikel „Brauchen wir Amazon“ von Iris Radisch).

Das ist natürlich besonders verwerflich: Bei Amazon kann jeder veröffentlichen. Natürlich ist es Quatsch anzunehmen, die Rechner in Seattle wüssten irgendetwas über den Kreislauf des Lesens, Schreibens und Publizierens. Die Rechner in Seattle speichern Daten wie andere Rechner auch – die Konzernstrategien aus diesen Daten entwickeln Menschen, die wie die Autorin des Artikels im Kapitalismus leben. Und ihre Haut zu Markte tragen, damit sie überleben können. Man kann nicht gleichzeitig das Zeitungssterben bedauern, dem Tante-Emma-Laden hinterhertrauern, betrübt sein über Massentierhaltung und dabei die Freiheit loben, die einem das „demokratische“ System bietet. Das ist entweder dumm oder verlogen.

Massentierhaltung, Amazon, Google, Facebook und Twitter  sind Kinder des Systems, und sie machen ihren Eltern alle Ehre. Man entkommt ihnen letztlich nicht. Denn dem System kann man nur entkommen, wenn man es verändert – radikal. Der Kapitalismus kann nicht menschlich und nicht vernünftig sein. Und die sogenannte soziale Marktwirtschaft hatten die Bundesbürger der Sowjetunion und ihren Trabanten zu verdanken und seit es die nicht mehr gibt, ist es vorbei mit der sozialen Seite. Da werden jetzt ganz andere Seiten aufgezogen. Der seit 2005 unter dem Namen eines Verbrechers (Hartz) stattfindende öffentliche Raub von Grundrechten und die planmäßige Demütigung von Millionen Menschen in diesem Land hat keine 1500 deutsche Schriftsteller zu einer gemeinsamen Aktion veranlasst.

Amazon will niedrigere Preise für e-books erzwingen, das stört die Verlage und die Autoren. Allerdings geht der Trend ohnehin zu Flatrates – auch auf dem Buchmarkt – und niedrige Preise für elektronische Bücher halte ich für für dringend notwendig. Die sogenannten Kulturflatrates würden übrigens zu höheren Einnahmen für Verlage und Autoren führen und wären für den Verbraucher (in diesem Fall Leser) natürlich erstrebenswert. Amazon will Preise von unter 10 € für elektronische Bücher, die Gegner wollen Preise um 15 € beibehalten.

Die öffentlichen Bibliotheken, die eigentlich für alle den Zugang zu Büchern offenhalten sollten, können dies schon lange nicht mehr. Kleine Bibliotheken wurden geschlossen, die größeren sind oft weit entfernt und es gibt für Bestseller und gefragte Fachbücher lange Wartezeiten. Wenn mich ein Buch nteressiert, will ich es in der Regel aber gleich lesen – und nicht nach 4 Monaten. Als Kind lief ich zwei oder dreimal wöchentlich einige Kilometer zur Bibliothek und holte mir einen Stapel Bücher. Ich liebte es, die Bücher aus den Regalen zu nehmen und in ihnen zu blättern und konnte mich oft schwer entscheiden, welche ich zuerst lesen wollte. Aber die Bedeutung von öffentlichen Bibliotheken wird abnehmen, schon heute nimmt die digitale Ausleihe einen breiten Raum ein. Um den Zugang aller Menschen zu Literatur und Wissen möglich zu machen, müssen Bücher preiswert – oder gar kostenlos zur Verfügung stehen. Und was ist mit den Autoren, wovon sollen die leben? Das muss geregelt werden, am besten in einer anderen Gesellschaft. Aber wenn es so vorläufig nicht geht, dann so wie andere gesellschaftliche Dinge – Lehrer werden schließlich auch bezahlt und Polizisten ebenso. Die Förderung von Bildung und Kultur ist eine staatliche Aufgabe.

Im Krieg zwischen Amazon und Hachete, den Verlagen und Autoren gibt es keine gute Seite, die man wirklich unterstützen könnte. Der Amazon-Gegner Hachete stand gerade in Amerika vor Gericht, weil das US-Justizministerium dem Verlag (auch Apple und vier anderen Verlagen) vorwarf, illegale Preisabsprachen getroffen zu haben. (Quelle – Haben amerikanische E-Book-Käufer wegen Preisabsprachen Millionen Dollar zu viel gezahlt? Das hatten Verbraucher und US-Bundesstaaten Apple vorgeworfen. Nun legt der Konzern die Klagen mit einem Vergleich bei)

Die Methoden der Erpressung, die Amazon gegenüber seinen Zulieferern (Verlagen und Filmstudios) einsetzt, sind natürlich absolut verurteilenswert, aber muss ich eigentlich Mitleid mit den Disney-Studios haben? Ist es wirklich eine „nationale Katastrophe“(James Patterson USA), wenn die Bücher von James Patterson oder J. K. Rowling, Stephenie Meyer („Twilight“), David Foster Wallace, J. D. Salinger von Amazon später ausgeliefert werden, weil Amazon deren Verlag Hachete zwingen will, e-book-Preise herunter zu setzen. Mein Mitleid mit Patterson, einem Autor, der bereits 300 Millionen Bücher verkauft hat und in diesem Jahr bereits 16 Bücher geschrieben hat (zum Teil mit Co-Autoren) hält sich in Grenzen. Weder Rowling noch Meyer müssen fürchten, am Hungertuch zu nagen, wenn Amazon ihre Bücher später ausliefert. Und die jungen amerikanischen Autoren, die durch Amazons Strafmaßnahmen gegen Hachete um ihre Zukunft fürchten, leiden so wie viele ihrer Artgenossen, deren Bücher Hachete erst gar nicht velegt hat. Verlage entscheiden in der Regel nämlich nach schnöden Verkaufsaspekten, was für sie Literatur und was Bockmist sei und die Förderung junger Lyrik steht meist nicht auf ihrem Programm.

Wer von sich überzeugt ist und unbedingt veröffentlichen will, kann das doch im Internet tun – oder bei Amazon. Davon kann man natürlich nicht leben. Aber vom Nichtveröffentlichen ja auch nicht.

Konsequente Gegner von Amazon dürfen natürlich zum Beispiel den SPIEGEL nicht mehr lesen, auch wenn von dort vermutlich die meisten ihrer Informationen über die Geschäfte des Konzerns kommen, denn die Links von der Bestsellerliste des Spiegels führen direkt zu Amazon. Der Spiegel finanziert sich also unter anderem durch den gescholtenen Konzern. Und mit welcher Software arbeiten die Amazon so kritisierenden Verlage denn eigentlich? Microsoft, Adobe? Vermutlich. Wie viele sind von ihnen noch Eigentümer ihrer Produktionsmittel? Meine Leseempfehlung zum Thema:  Zeit – Datenproletariat.

Ach übrigens, wenn ihr Bücher bei Amazon bestellt, dann doch bitte über diese Seite. Ihr unterstützt damit nämlich auch mich…

 

Carl Spitzweg - Der arme Poet (Neue Pinakothek).jpg
„Carl Spitzweg – Der arme Poet (Neue Pinakothek)“ von Carl Spitzweg – 1. The Yorck Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH.
2. Wichmann, Siegfried: Carl Spitzweg, München 1990, S. 57 ISBN 3-7654-2306-8
3. Cybershot800i, Eigenes Werk, aufgenommen 17. Juni 2011. Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons.

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2 Antworten zu Ich mache euren Krieg nicht mit! Warum ich auch Bücher bei Amazon bestelle…

  1. Moss the TeXie sagt:

    Amazon ist böse, Thalia und der kleine Buchladen an der Ecke sind gut?

    Nein, so einfach geht es nicht. Einerseits gehört auch Thalia zu den Massenvertreibern auf Billigmarktniveau (aber bitte mit Preisbindung!), andererseits mag ich den kleinen Buchladen hier am Eck, wo ich nicht, wie bei Thalia schon passiert, wegen mangelnder Zielstrebigkeit bei gleichzeitigem Mitführen einer (kleinen, braven, stubenreinen) Hündin angeraunzt werde, aber dafür aber auch gern mal ’nen Kaffee angeboten bekomme.

    Die allfällige Korrumpierung der Blogger der Kragenweite

    wenn ihr Bücher bei Amazon bestellt, dann doch bitte über diese Seite. Ihr unterstützt damit nämlich auch mich …

    geht mir übrigens derart auf den Senkel, dass ich schon deswegen nur im Notfall Bücher über Amazon bestellen werde und wenn, dann ganz sicher ohne einen solchen Link zu benutzen.

  2. Miriam sagt:

    Liebe Maja, ich mag Amazon auch nicht, habe mein Kundenkonto dort aber noch, wenngleich ich es nur noch sehr, sehr selten nutze. Neue Bücher kaufe ich bei Belle et Triste am U-Bahnhof Seestraße. Ich bestelle im Internet und hole 2 – 3 Tage später in der Buchhandlung ab, das erspart mir das Suchen in der Nachbarschaft: Wo hat der Paketzusteller denn diesmal mein Buch, als ich nicht zu Hause war, abgegeben? Amazon nutze ich für gebrauchte Bücher. Oft sind sie dort auf dem Marketplace preisgünstiger als bei booklooker oder über ZVAB. Ich habe dort heute ein Gebrauchtbuch für 8 Cent gekauft, das für Dich ist und der Einfachheit halber auch gleich an Deine Adresse geschickt wird. Wenn Dir in den nächsten Tagen ein Amazon-Päckchen gebracht wird, obwohl Du nichts bestellt hast, nimm es bitte an. 🙂 Miri

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