Kritik muss nicht konstruktiv sein!

Wer konstruktive Kritik fordert, dem mangelt es an sozialer Kompetenz.

Ich gebe zu, auf den ersten Blick mag meine Behauptung absurd scheinen. Und doch ist sie richtig!

Die Forderung nach „konstruktiver“ Kritik wird in der Regel von inkompetenten Führungskräften erhoben, damit sie sich irgendwie vor der Kritik ihrer Mitarbeiter retten können. Aber selbst innerhalb eines Betriebsgefüges ist die Forderung nach „konstruktiver“ Kritik im wahrsten Sinne der Wortes kontraproduktiv.

Bei dem Aufruf zu konstruktiver Kritik wird oft absichtlich vergessen, dass derjenige, der einen Fehler entdeckt, keinesfalls auch wissen muss, wie man ihn beseitigen kann, oder seiner Beseitigung näher kommen könnte. Wenn mein Friseur mir „versehentlich“ die Harre grün färbt, werde ich ihm sagen, was ich von seiner Arbeit halte – nämlich nichts. Deshalb muss ich überhaupt nicht wissen, was da chemisch falsch gelaufen ist und schon gar nicht muss ich besser Haare färben können. Ich bin ja kein Friseur.

Die Forderung, dass Kritik konstruktiv sein müsse, ist eine Forderung zum Schutz vor Kritik und verhindert die Lösung von Problemen! Denn was wird aus all den Mängeln, für die der potenzielle Kritiker gar keine Heilung weiß hat und über die er desbalb nicht spricht? Manches Loch im Topf bleibt so vielleicht unbemerkt, ebenso wie die geschlossene Schranke auf die der Autofahrer ungebremst zurast. Ein Lob dem „Pass doch auf, du Idiot!“ schreienden Beifahrer ohne Führerschein! Ohne wache Beifahrer gäbe es mehr Verkehrstote! Und selbst die abwertende Bezeichnung ist in diesem Falle zu verzeihen, denn sie soll auch hier gar nicht wirklich den Menschen abwerten, sondern nur seine „idiotische“ Handlungsweise.

Wer sieht, dass etwas falsch läuft, muss das aussprechen können und sollen, wenn man die Lage des Ganzen verbessern will. Um Kritik sollte man betteln, sie herbeiwünschen!

Ist der Kritiker aber dem Wohlwollen der Kritisierten unterworfen (was konstruktiv ist, bestimmen wir – und wenn du nicht konstruktiv bist, halt die Klappe!), ist der Kritiker abhängig von der Akzeptanz des Kritisierten, dann wird er oft zu Gunsten des Dabeiseins schweigen. „Wem es nicht gefällt bei uns, der kann ja gehen“, hörte ich neulich einen Chef in einem Supermarkt die Kassiererin anbrüllen.

Die Probleme verschwinden aber nicht, nur weil niemand sie (mehr) ausspricht. Erst wenn sie bemerkt werden, können sie gelöst werden. Und für die Lösung der Probleme sind nicht die Kritiker zuständig. Manchmal verfügen sie nicht einmal über viele Informationen, manchmal fehlt ihnen Fachwissen oder Einblick um mehr zu sehen als den DEFEKT – die LÜCKE – den FEHLER – oder die UNGELÖSTE AUFGABE.

Kritik ist eine Warnung vor möglichem Schaden und deshalb eine Hilfe.

Menschen, die kritisieren, müssen innerhalb eines fehlerhaften Ganzen manchmal immer wieder erleben, dass sie von den Kritisierten für die Kritik kritisiert werden, mit Wendungen wie diesen: deine Kritik ist unsachlich, nicht hilfreich, wenig konstruktiv, ganz daneben… Es gibt sogar noch schlimmere Kritikzerstörungssprüche: Du hast ja gar keine Ahnung! Wer bist du denn, dass du es wagst, uns/mich zu kritisieren. Ich bin hier der Chef.

Oft wird der Versuch eines Kritisierenden eine „konstruktive“ Kritik zu üben, damit beantwortet, dass man ihm ganz schnell beweist, dass sein Lösungsansatz keiner ist, sein Lösungsvorschlag undurchführbar bleibt – er wird dann zum Nichtbesserkönner und das von ihm bemerkte Problem verschwindet aus dem Focus der Aufmerksamkeit. Der Kritiker wird dann ganz schnell zum Gegenstand der Kritik – und das entmutigt oft alle anderen potenziellen Kritiker auf lange Zeit.

Wer konstruktive Kritik fordert, der will oft gar keine. Wer keine Kritik will, der hat meist Angst und ist schwach. Zu schwach, um die Kritik zu ertragen.

Wer sich seiner Kritiker beraubt, nimmt sich auch die Möglichkeit, die Fehler zu beseitigen, die er selbst gar nicht sieht.

Wer die Sache, an der er interessiert ist, verbessern will, wünscht sich Kritik und fordert sie ein.

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