Und war er nicht zu allem unbrauchbar?

Man hat ihn nicht geliebt. Nicht einmal als Dichter. Einige wenige vielleicht. Die meisten aber wohl nicht. Der Funktionär hätte den Dichter vergewaltigt, wird über ihn gesagt.

Für Katja Lange-Müller blieb er der „Neoanderthaler von Kulturminister“, „ein Nationalhymnentexter“, für sie war er der, der „zeitlebens so nette Sonette verfasste, dessen morphium- sehnsüchtiger Wunsch es war, „als namensloses Lied durchs Volk zu gehn“.

Franz Fühmann hat vermutet, dass Bechers Doppelleben als Dichter und Kulturpolitiker wenig glücklich war, weil ihm widerfuhr, was für einen Schriftsteller das Schlimmste ist: eine „bestimmte Art des Nicht-ernst-genommen-Werdens durch absolut kritiklose Überhebung.“

Johannes Bobrowskis sagte über ihn: „Dies ist der größte Dichter, so redet und schreibt man. Ich stimme immer damit überein, er ist der größte, gewiss: nämlich der größte tote Dichter bei Lebzeiten, einer den niemand hörte und las, aber er lebte und schrieb.“

 

 

Der Dichter

 

Es wuchs in ihm ein solches Unbehagen,

Das trieb ihn fort, und immer weiter fort.

Ihm war, als hätte er nichts mehr zu sagen.

Verbraucht und wertlos schien ihm jedes Wort.

 

Wie konnte er sich nur die Zeit vertreiben,

Darin er selber wie vertrieben war!

Welche eine Qual: er mußte bei sich bleiben,

Und war er nicht zu allem unbrauchbar!

 

Und war er nicht verflucht, der Allerletzte,

Er konnte nicht mehr vor sich selbst bestehn,

War der Zerfetzte und war der Gehetzte,

Und mußte ruchlos auf und nieder gehn –

 

O welch ein Ausgelaugtsein! Welche Leere!

Ein düsteres Schweigen hielt ihm zu den Mund.

Es zog ihn nieder einer Schwermut Schwere,

Daß er versunken, sank von Grund zu Grund.

 

O unerwartet, unvorhergesehen –

Vielleicht im Atmen eines Abendwinds,

Vielleicht in eines stillen Lieds Verwehen,

Vielleicht im fernen Weinen eines Kinds –

 

Fand er das Wort, als fänd er selbst sich wieder,

Ihm war, als müsse er noch immer fliehn,

Und ruhlos ging er auf und nieder,

Und stand im Banne schon der Melodien –

 

Und wenn ihm auch das erste Lied mißlang,

Da nahte singend sich ihm schon das zweite –

O welch ein wunderbarer Aufgesang,

Und seine Stimme strahlte in die Weite!

 

Nicht eine Stimme, die verlorenging,

O tausendstimmig sollte er lobpreisen!

Es neigte sich vor ihm ein jedes Ding,

Als wollten alle ihn willkommmen heißen.

 

Was hatte sich in ihm nicht aufbewahrt!

Was war an Bestem ihm nicht zugekommen!

Welch eine Kraft lag in ihm aufgespart

Und hat an Kraft alltäglich zugenommen!

 

Und war ein solches Ãœber-Sich-Erheben,

Und eine Durchsicht war und Ãœberssicht,

Daß auch der Tod war nur ein Traumverschweben,

Und alle Ängste lächelten im Licht –

 

Und unerwartet, unvorhergesehen,

geschah es, das ein Ungeheures sich

In ihm erhob – wie konnte er bestehen? -,

Und eine Stimme, ungeheuerlich,

 

Durchdrang ihn ganz in ihrer Wortgewalt,

Und nichts mehr galt als dies: sich ihr zu beugen,

Und nichts mehr galt, da ein Gesetz nur galt:

Von dieser Stimme Allgewalt zu zeugen.

 

Da war er der Zerfetzte und Gehetzte,

Er mußte ruhlos auf und nieder gehn,

Er war der erste und er war der letzte,

Als würde neu in ihm die Welt erstehn,

 

So drangen alle Zeiten in ihn ein,

Um ihre Kraft mit seiner Kraft zu messen,

Er aber war von einem nur besessen:

Im Widerstreit des Nichts – Gestalt zu sein…

 

Und unerwartet, unvorhergesehen,

Geschah es, daß er wie zu nichts zerschlagen

Daniederlag, als wäre nichts geschehen.

Welch eine Qual! Er mußte bei sich bleiben.

Und war er nicht zu allem unbrauchbar…

 

Und bin ich nicht zu allem unbrauchbar, ist eine typische Frage des Suizidenten.

 

Dieses Bechergedicht, denke ich, beschreibt sehr einleuchtend die Qualen des an sich und der Welt zweifelnden Schreibers.

Welch eine Qual, er musste bei sich bleiben, und war er nicht zu allem unbrauchbar?

In jenen Momenten, in denen ein Mensch sich diese Frage mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet, ist die Verzweiflung so groß, dass der selbstgewählte Tod eine glückliche Alternative zu sein scheint. 

Die Depression, oft quälender Begleiter des Weges zum Entschluss, macht es schwer, sich von dieser Denkweise zu lösen. Die Außenwelt erweist sich als unfähig, die Problematik zu erkennen. Ihre Regeln will der Depressive nicht anerkennen. Sie versteht die Signale nicht.

Wieder erreichen den sich Quälenden die üblichen Formeln: Du musst. Er aber kann nicht.

Die Lösung scheint einfach. Den Widerspruch aufheben durch Chemie. Mann und Frau wird versammelt auf den Psychiatrischen Stationen unserer Krankenhäuser.

Die Gesellschaft hilft so dem „Kranken“ und sich selbst. Er wird aus dem Weg geräumt, damit er sich nicht selbst aus dem Weg räumt. Er fällt nicht mehr auf als störendes Element. Er wird zur Ruhe gebracht, damit er keine Unruhe stiftet. Denn Selbstmörder, und in diesem Zusammenhang sei genau dieser Begriff gewählt, machen ihrer Umgebung klar: Ihr habt mich zum Mörder gemacht. Also doch besser die Verhinderung der Tat.

Die Konditionierung, welch prekärer Begriff für Verbiegung, zu den Konditionen der Gesellschaft. Die ist auf Leistung ausgerichtet. Mindestens aber auf  Teilnahme. Genau dieser Teilnahme aber verweigert sich derjenige, der sagt: Ich will nicht mehr, ich mache meinem Leben ein Ende.

 

Insofern ist der Freitod auch eine radikale Absage an die Gesellschaft. Diktaturen haben die Angewohnheit, missliebige Kritiker für „verrückt“ erklären zu lassen und sie in Einrichtungen des Gesundheitswesens mundtot zu machen.

 

So entstehen Kuckucksnester, und wer fliegt schon übers Kuckucksnest. 

 

Nur, wer sich als brauchbar wahrzunehmen versteht, kann fliegen.

Dabei ist es dann völlig unwesentlich, ob das Fliegen geglaubt oder verlacht wird. Die eigene, innere Überzeugung ist Maßstab. S

ich als brauchbar zu erleben, heißt sich lebend zu erleben. Nicht lebendig begraben zu sein. Becher lebte und schrieb.

Und die Behauptung, seine Krisen und Wandlungen, seine tiefe und tiefste Verzweiflung, dies alles wäre erst nach der Wende ablesbar gewesen, ist falsch. In der in der DDR veröffentlichten „Gesammelte Werke“- Ausgabe, bleibt für den Lesenden nichts, oder fast nichts ausgespart. Denn Becher lebte und schrieb. Insofern hat Bobrowski recht.

Vorwiegend blieb es beim Gedicht, wenn es um die Verarbeitung des Eigenen ging, oder dem Tagebuch, nur die eher privaten Formen schienen die bittere, nötige Auseinandersetzung zuzulassen.

 

(aus einem Essay über Schreiben und Selbsttötung: Der erste Satz ist imemr der schwierigste/Schreiben ist vielleicht eine Alternative)
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