Abendspaziergang mit G.

G. ist Sozialarbeiter und älter als Methusalem. Ich darf das schreiben, er hat es erlaubt. Ich kenne G. seit meiner Kindheit, er war damals schon uralt. G. kann gut zuhören, redet aber noch lieber. Er erzählt ununterbrochen Geschichten, von denen er behauptet, dass sie sich wirklich zugetragen haben. Heute erzählte er mir folgende:

Ein vierjähriger Junge, um den sich G. besonders kümmerte, weil beide Eltern Alkoholiker waren, flüchtete eines Nachts aus Angst vor den gewalttätigen Eltern, die sich heftig stritten, hinaus auf die Straße. Seine Eltern bemerkten das nicht. G., wohnte mehr als 5 km entfernt, entsprechend erstaunt war er, als der Kleine nachts um 2:00 Uhr vor seiner Tür stand. Nie vorher war der Junge bei G. gewesen, nur einmal hatte der Vater im Vorbeifahren mit der Straßenbahn gesagt: Da wohnt G. Das Kind erzählte auch noch nach Jahren, es habe den Weg mit Hilfe eines schwarzen Vogels gefunden, der vor ihm hergeflogen sei.

G. meint, solche schwarzen Vögel tauchen immer dann auf, wenn wir besonders hilflos sind. Man muss sie sich nur wünschen. Dann sieht man sie auch.

Vor uns hüpfte eine – natürlich schwarze – Amsel über den vom Regen noch feuchten Asphalt. Jemand hatte mit Kreide auf die Straße geschrieben: Das Leben ist kein Stock aus Draht.

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