Unterm Strich – Vergangenheitsbewältigung

WUNSCHTRAUM

Bitte kreuzen Sie hier an

13.01.2000

Feuilleton – Seite 11 – Berliner Zeitung

Maja Wiens

Die alte Dame zieht den Hund hinter sich her. Als sie in den Hauseingang will, stemmt er die vier Pfoten auf den Bürgersteig. Er verlagert langsam das Schwergewicht aufs Hinterteil und will seine Ruhe. „Bernhaaaaard!“ schreit ihn seine genervte Besitzerin an. Die Leute an der Straßenbahnhaltestelle drehen sich nach der wütenden Stimme und dem widerwilligen Bernhard um. Ein Hund, der Bernhard heißt, erheitert für einen Moment. „Der will nicht ins TV“, sagt einer. „Dabei hätte er sogar die Genehmigung der Bundesanstalt für Arbeit“, meint ein anderer mit Blick auf die beschrifteten Fenster in der Beletage der Kastanienallee 4.     

Hier sitzt die „Real Life Casting Berlin“ und macht „Mit Genehmigung der Bundesanstalt für Arbeit“ einen seriösen Eindruck. An jedem Fenster wirbt ein Spruch: „Wer will ins TV? Wir haben für jeden die richtige Rolle. Sie haben uns gerade noch gefehlt. Wir suchen Kleindarsteller, Statisten, Schauspieler, Talkshowgäste.“

Dreimal in der Woche gibt es Castingtermine für jedermann. Den Hund Bernhard überzeugt nichts, und Hund mit Dame verschwinden. Ein Paar in den Fünfzigern taucht auf. Sie mustern die Fenster, entscheiden sich aber nach kurzem Gespräch doch für „Conny s Container“ nebenan. Zwei 14-jährige Mädchen gehen mutig die Treppe hoch und lassen sich von zart gestimmten jungen Frauen einweisen. Erst mal den Fragebogen ausfüllen, und dann werden zwei Fotos gemacht, das kostet nur 8 Mark.

An der Wand behaupten Computerausdrucke: „40 000 Jobs wurden bereits an Film und Fernsehen vermittelt.“ Schön für die beiden. Dass die Real Life Casting Agentur so gewichtige Produktionen wie „Rossini“, „Asterix und Obelix“, „Soko 5113“ begleitet und für Werbespots sehr bedeutender Firmen gecastet hat, beeindruckt die Mädchen. Sie wollen Modell oder Sängerin werden. Mit dem Fragebogen haben sie aber Schwierigkeiten. Sie wissen nicht, was ein „besonderes Requisit“ ist. Sie diskutieren, ob ein Skateboard eines sei, entscheiden sich aber dagegen. Sie haben Abendkleidung „für die Disco“, aber „schicke“ und „normale“ Abendkleidung, Frack und Smoking besitzen sie nicht.

In der Ecke informiert ein Video über die Erfolge der Agentur. So manche Karriere habe hier begonnen, wie ein „RTL Explosiv“-Bericht demonstriert.

Inzwischen hat sich das Paar in den Fünfzigern doch eingefunden. Es besitzt nun einen blauen Flötenkessel. Erst wollen die beiden einen Fragebogen gemeinsam ausfüllen, scheitern aber an der Schuhgröße. Die Mädchen diskutieren die Arbeitskleidung, kein Kreuz bei Manager, Uniform, Blaumann. Dafür besitzen sie „Sportkleidung, sonstige“. Die geforderte Beschreibung der Tageskleidung bereitet neue Probleme. Selbst wenn es gelänge, die „sonstige Tageskleidung“ darzustellen, wie soll das in die zwei Millimeter über dem Wörtchen „welche“ passen?

Das ältere Paar ist sich uneinig über die Rasse ihrer Katze. Er meint, es sei eine „Europäisch Kurzhaar“. Sie schreibt „Hauskatze“. Den Hinweis, ein möglichst genaues Ausfüllen des Fragebogens bei Instrument, Haustier oder Auto könnte weiterhelfen, sofern diese bei einer Produktion benötigt werden, haben sie gelesen und verinnerlicht.

„Bitte kreuzen Sie hier an, in welchen Bereichen Sie vermittelt werden möchten!“ „Wat is n ein Werbetyp?“ fragt das eine Mädchen. Das andere zuckt mit den Schultern. „Mach einfach ein Kreuz!“ Gameshow-Kandidat wollen sie eher nicht werden. Und Aktmodell auf keinen Fall.

Die Frau in den Fünfzigern wird inzwischen im gleichen Raum geknipst. Brav legt sie ihre Haare nach vorn, damit man die Länge sieht. Der Mann zerknüllt den dritten Fragebogen und steckt ihn in die Tasche. Vom Videoband tönt es: „Sind Sie korpulent oder magersüchtig? Das interessiert uns! Je ausgefallener der Gast, desto höher sein Preis.“

Die Mädchen hoffen auf den Beginn einer Karriere. Das Paar in den Fünfzigern hofft auf ein paar Mark zusätzlich. Im Café „An einem Sonnabend im August“ gegenüber sitzt die alte Dame mit dem Hund Bernhard. Er kaut an einer Bulette vom Abendschmausbüfett. Die Teilnahme am Büfett kostet nur fünf Mark. „Das Café war ein Augusttraum seiner Besitzer und hat im August eröffnet, deshalb der Name“, sagt die Kellnerin. Und: „Manchmal werden Träume wahr.“

So stand das damals in der Zeitung. Aus dem Café, das an gleicher Stelle einlädt, kann man nicht mehr zur Castingagentur gucken. Die ist umgezogen, vielleicht gibt es sie auch gar nicht mehr – die Zeiten ändern sich eben - auch wenn sich die Zeiten nicht ändern.

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