Der Mann mit dem grünen Hut

Es war einmal ein Mann, der liebte es, einen grünen Hut zu tragen. Zuerst trug er den Hut nur am Sonntag, wenn er spazieren ging. Später begann er den Hut auch sonnabends zu tragen. Beim Einkaufen ebenso wie beim wöchentlichen Schnitzel mit Bier in seiner Stammgastätte. Er fühlte sich einfach wohler mit dem grünen Hut. Der Mann hatte keine Frau und keine Kinder, er hatte nur den grünen Hut. Man kannte den Mann im Örtchen seit seiner Kindheit und mit dem einen oder anderen Nachbarn plauderte er auch mal, aber nahe stand ihm niemand. Seine Eltern, die früher auch im Ort gewohnt hatten, waren der Arbeit wegen weggezogen und Geschwister hatte der Mann auch keine, ebenso keine Tanten oder sonstige Verwandte. Der Mann war mittelgroß, hatte kurzes hellbraunes Haar und graugrüne oder graublaue Augen, das war niemals so genau auszumachen. Er arbeitete von zu Hause aus, verabredete telefonisch Kundengespräche für den Vertreter eines mittelständigen Unternehmens, das Insolvenzware an Schnäppchenmärkte vertrieb.

Der grüne Hut war nichts Besonderes. Wenn man davon absieht, dass er grün war, genauer: das Grün war ein helles Froschgrün, das man gern auch als giftgrün bezeichnet. Und es war ein Filzhut guter Qualität, sauber angefertigt nach uraltem Prozedere von einem Hutmacher,  von denen es heutzutage nur noch wenige gibt. Geformt wie ein Allerweltshut mit mittelhoher Krempe und einem unauffälligen Hutband, hätte wohl niemand den Hut beachtet, wäre nicht eben dieses markante Grün gewesen. Und der Mann, der ihn trug.

Der Mann, der es liebte, einen grünen Hut zu tragen, hatte aber nur diesen einen. Einen grünen Hut. Er hatte überhaupt nur einen Hut. Keine Mützen, keine Kappen – nur eben den grünen Hut. Der Zufall hatte ihm den grünen Hut beschert, er stammt aus einer Insolvenz und ließ sich nicht veräußern und als freundliche Geste machte der Vertreter daraus ein Geschenk für den Mann, der für ihn die Termine vereinbarte.

Zuerst lag der Hut eine Weile auf der Kommode im Flur und er wollte so gar nicht zum anderen Interieur passen. Das folgte keinem Geschmack, sondern stammte aus der elterlichen Wohnung und der einzige Vorzug, den es bot: Es hatte den Mann nichts gekostet. Alles, was er erübrigen konnte, sparte der Mann jeweils bis kurz vor Weihnachten, dann überwies er es an eine Institution, von der er wusste, dass sie es brauchen könnte. Mal erhielt ein Kinderheim seine Spende, ein anderes Mal ein Obdachlosenheim, er war in einer gewissen Weise sorgfältig mit der Auswahl, er prüfte lange, ob der Empfänger seriös arbeitete, aber ebenso willkürlich verteilte er seine Spende in dem Bewusstsein, dass Not sich von Not nicht unterscheidet und von außen die Dringlichkeit kaum zu beurteilen sei. Er erzählte niemandem von seiner Großzügigkeit und war nicht einmal besonders stolz darauf, er meinte nur, er müsse abgeben von dem, was ihm übrig blieb.

Eines Tages hatte der Mann, dessen Blick regelmäßig auf den Hut auf der Kommode fiel, bevor er das Haus verließ, den Hut gegriffen und sich auf den Kopf gesetzt. Schließlich machte es keinen Sinn, den Hut einfach herumliegen zu lassen und außerdem sei es unhöflich, ein Geschenk derart zu missachten. Der Mann hatte seine Erscheinung nicht durch einen Blick in den Spiegel kontrolliert,  denn auch Eitelkeit war ihm fremd. Auf der Treppe begegnete er einer Nachbarin, die freundlich lächelte. Der Mann war ein sehr höflicher Mann, und so zog er den Hut vor ihr, lächelte ebenfalls und grüßte freundlich. Die Nachbarin lächelte noch mehr und grüßte ebenso freundlich zurück.

Der Mann betrat die Straße und immer, wenn er jemandem begegnete, dann zog er den Hut vor ihm und grüßte freundlich. Und die Menschen, die er grüßte, lächelten und grüßten zurück. Das gefiel ihm und er fing an, das Tragen des Hutes zu genießen. Der Hut macht die Welt schöner und freundlicher, dachte der Mann. Die Menschen, denen der Mann mit dem grünen Hut begegnete, lächelten und dachten: Da ist der Mann mit dem grünen Hut, der immer so freunlich ist und vor allen den Hut zieht. Und sie lächelten.

 

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