Alice Schwarzer oder: Der geteilte Himmel

Es fehlt mir die Zeit (und letztlich die Kraft) für einen längeren Text. Das ist schade, weil das Thema ihn verdient hätte. Vielleicht habe ich Zeit und Kraft später einmal. Aber ein paar Gedanken nun doch, als Notiz und Einladung zu Widerspruch oder Zustimmung.

Einst nannte ich ein literarisch-musikalisches Programm, das ich erarbeitete „Abbau einer Statue“. Die Statue war J.R. Becher, ein Dichter, dessen Zerrissenheit und Todessehnsucht in der DDR keinen Platz haben sollte, und den man damit um-(das)-brachte, was er verdient gehabt hätte: Anerkennung für ausgefochtene Kämpfe und den Versuch, ein guter Mensch zu sein. Anerkennung für viele gute Gedichte, neben den schlechten, die man nicht schlecht nennen durfte sollte, weil sie Loblieder waren.

Alice Schwarzers „Kleiner Unterschied“ erreichte mich in der DDR über Irmtraud Morgner, die mir das Büchlein lieh. Alice Schwarzer besuchte Irmtraud Morgner wohl mehrfach in der Leipziger Straße, wenn ich mich richtig entsinne. Das war zu Zeiten, als der Berliner Himmel noch geteilt war. Wir, die Ostfrauen, unterschieden uns von den Westfrauen erheblich. Das war kein kleiner Unterschied…

… (was anders war und wie wir uns unterschieden folgt irgendwann)

In einem Filmprogramm (erzählte mir R.W.), veröffentlicht in einer Berliner Zeitung, steht hinter „Der geteilte Himmel“ und „Paul und Paula“ Deutschland als Herkunftsland. Typisch, die gute DDR soll spurlos verschwinden, die DDR darf nur als „Unrechtsregime“ erinnert werden, als gehöre „Der geteilte Himmel“ nicht zu ihr und das Ampelmännchen und die Hoffnung, sie könne den eigenen Ansprüchen irgendwann genügen, wenn wir uns nur kräftig Mühe gäben.

Anmut spare nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
dass ein gutes Deutschland blühe,
wie ein andres gutes Land.
(Brecht)

Das konnte ich immerhin aus dem Gedächtnis aufschreiben – bin ja in der DDR zur Schule gegangen. Wie viele Kinder lernen es heute kennen? Wir haben uns nicht genug Mühe gegeben mit unserem Land.

Und wir geben uns jetzt mit dem anderen offenbar auch nicht genug Mühe, sonst müssten wir uns nicht so schämen. Schon wieder haben die Deutschen die Weisheit mit Löffeln gefressen und wissen wie es geht.

Jetzt heißt es nicht mehr: „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“. „Alle leben über ihre Verhältnisse,“ heißt es heutzutage nicht nur aus Regierungskreisen, „die Griechen, die Franzosen, die Spanier, die sollen sich nur mal ein Beispiel an uns nehmen, dann wären sie besser dran.“ Ja, noch immer soll am deutschen Wesen die Welt genesen. Sogenannte Armutsflüchtlinge aus Bulgarien und Rumänien werden zum Problem erklärt, in einem Land, in dem Konzerne Milliardengewinne machen und keine Steuern zahlen. In diesem einig Vaterland ist der geteilte Himmel für alle da. Für die einen ist er Blau für die anderen Grau. Das ist der kleine Unterschied. Nein, nur ein kleiner Unterschied von vielen – auch wenn es ein großer kleiner Unterschied ist.

Alice Schwarzer hat also keine Steuern auf Zinsen aus versteuertem Einkommen gezahlt, hat sich irgendwann – sicher aus Angst vor Entdeckung – selbst angezeigt und entsprechend den deutschen Gesetzen, die bei solchem Verhalten Straffreiheit versprechen, Steuern reumütig nachgezahlt. Jemand war indiskret, der Spiegel hat es in die Welt posaunt und nun redet man drüber und ist unterschiedlicher Meinung. Zum Beispiel darüber, ob es in Ordnung ist, das Steuersünder nach einer Selbstanzeige straffrei ausgehen.

Vor allem aber steht die Person Alice Schwarzer als „moralische Instanz“ im Mittelpunkt einer Schelte, die den Augenblick nutzt. Viele, die sich aus vielerlei Gründen (zu Recht oder Unrecht) über Alice Schwarzer geärgert haben, nehmen die Gelegenheit wahr und versetzen ihr verbale Tritte. In „Hart aber Fair“ urteilt Katrin Göring-Eckardt: „Das ist kein Kavaliersdelikt, wenn sie dem Gemeinwesen Geld wegnimmt“. Das suggeriert es handle sich bei Schwarzer um gegenwärtiges Verhalten und Täterschaft. Und es ist dazu fürchterlich ungerecht angesichts dessen, was Andere (Banken / Konzerne usw.) dem Gemeinwesen wegnehmen. Außerdem werden mit Steuergeldern auch Kriegseinsätze finanziert und nicht nur Hartz-4-Empfänger alimentiert. Der Steuerhimmel ist auch geteilt und voller kleiner Unterschiede. Was die moralische Instanz Katrin Göhring-Eckhardt anbetrifft, halte ich es mit Jutta Dittfurt.

Gebeten, ein Bild von Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt zu kommentieren, machte die 61-Jährige ihrem Unmut auf ihre Ex-Partei Luft. Insbesondere eine Herz-Geste von Göring-Eckardt erregte ihre Abscheu: „Das ist so eine Mischung aus Tchibo-Werbung und dem eingebauten ‚Wort zum Sonntag‘, was die Grünen jetzt haben. Das ist dämlicher Kitsch. Etwas, das Leute brauchen, die harte Entscheidungen wie Agenda 2010, Hartz IV und Jugoslawien-Krieg treffen, aber dann mit Herzchen rumlaufen und ganz zuckersüß lächeln. So ’ne Bagage habe ich richtig lieb.“

(Themenportal)

Für Alice Schwarzer kann die Indiskretion ein großer Gewinn sein, einer, den sie jetzt sicher gar nicht zu schätzen weiß. Wer selber Fehler macht und auf sie (öffentlich) hingewiesen wird, kann anderen Fehler zukünftig oft leichter verzeihen. Ich wünsche ihr einen Zuwachs an Großzügigkeit und Milde in der Beurteilung anderer Menschen. Und den alten Kampfgeist dazu.

Unser aller Himmel ist geteilt.

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