Liebe Griechen…

Liebe Griechen,

der stern-Autor Walter Wüllenweber hat euch zwei Briefe geschrieben – und er hat dabei so getan, als dürfte er sich für alle Deutschen äußern. Er hat „wir“ und „ihr“ geschrieben, als gäbe es sein „ihr“ und „wir“.  Ich schäme mich für diese Briefe und ich hoffe, dass ihr nicht denkt, wir wären mit mit diesem Walter Wüllenberger einer Meinung. Wir, das sind die meisten deutschen Linken, meine Freunde und viele andere kluge Menschen.

Wir wissen, dass wir nicht eure „Geldtante“ sind, die euch angeblich jedem 9000 € geschenkt hat.

Wir wissen, dass ihr NEIN sagen könnt. So, wie ihr Nein gesagt habt, zur Kapitulation vor den Nationalsozialisten. Sie haben euch überfallen und euer Land besetzt. Zuerst die italienischen Faschisten, die habt ihr noch zurück schlagen können. Aber dann kamen 1941 die deutschen und bulgarischen Faschisten und euer Widerstand wurde gebrochen.

Jeder kann in Wikipedia nachlesen:

Italien, Deutschland und Bulgarien errichteten ein hartes Besatzungsregime. So wurde durch die erzwungene Ausfuhr der fast gesamten griechischen Produktion noch eine positive Handelsbilanz zum Deutschen Reich in Höhe von 71 Mio. Reichsmark festgestellt, die dann mit extremen Besatzungskosten (auf Wunsch von Hitler in „Aufbaukosten“ umbenannt) verrechnet wurden. Griechenland hatte von allen besetzten Ländern pro Kopf die höchsten Besatzungskosten zu zahlen. Um von der Bevölkerung mehr Sachwerte abzuziehen, wurde der Banknotenumlauf gesteigert. Der wirtschaftliche Zusammenbruch war abzusehen und wurde in Kauf genommen. Besonders die fehlenden Lebensmittel führten zu einer Hungerkatastrophe und einer Säuglingssterblichkeit von 80%. Von 300 im Oktober 1944 in Athen untersuchten Kindern waren 290 an Tuberkulose erkrankt. Nach „Erbeutung“ nahezu sämtlicher Produktionsmittel wie Maschinen, Fahrzeuge etc. wurden mehrheitlich Rohstoffe und landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Deutschland gebracht. Das Deutsche Reich hatte sich vertraglich die wirtschaftliche Ausbeutung aller Besatzungszonen gesichert.

Obwohl die meisten von uns diese Zeit nicht selbst erlebt haben, wissen wir, dass während der Besatzung durch die Nazis Deutsche viele Kunstschätze aus eurem Land geraubt haben.

Wir wissen, dass die deutschen Besatzer zahlreiche Kriegsverbrechen in eurem Land verübten. Kalavrita und Distomo, sind nicht vergessen!

Liebe Griechen,

wir haben uns sehr gefreut, dass ihr jetzt nicht einfach alles nur hinnehmt. Wir haben uns gefreut, dass ihr auf die Straße geht und demonstriert. Lasst euch eure Errungenschaften nicht wegnehmen! Wehrt euch!

Kürzungen der Sozialleistungen haben bei uns viele Menschen in Armut gestürzt, die Regierenden haben durch sogenannte Reformen dafür gesorgt, dass zukünftige Rentner weniger Rente bekommen und alle länger arbeiten müssen, bis sie Rente beantragen können. Dabei ist für viele gar keine Arbeit da – wenn jemand nicht mehr ganz jung ist, findet er oft nie wieder Arbeit. Leider waren wir immer wieder zu wenige, die sich wehrten und demonstrierten. Und leider begreifen viele Menschen nicht, wo die Ursachen für die sogenannte Geldnot liegen und dass es die Produktionsverhältnisse sind, die geändert werden müssen – aushilfsweise könnte man vorerst auch den reichen Konzernen die Gewinne kürzen. Dafür müssten wir sorgen – aber wir sind noch zu wenige.

Liebe Griechen,

der Briefschreiber Wüllenberger hat in seinem zweiten Brief an euch zugegeben, dass er manche Dinge nicht gewusst hat. Dass er es zuggeben hat, ist gut – dass er sich nicht vor dem Briefeschreiben informiert hat, ist ein Skandal.

Dann hätte er nämlich gewusst, dass deutsche Handelsketten wie Lidl oder Saturn Griechenland erobert haben und somit deutsche Unternehmen aktiv die von ihm kritisierte Wirtschaft mitzuverantworten haben. Er hat angeblich auch nicht gwusst, dass die deutsche Waffenindustrie gigantisch an euch verdient. 13 % der deutschen Waffenexporte gehen nach Griechenland.

Dass Griechenland auch in Deutschland viele Arbeitsplätze sichert, weil ihr viele unserer Waren und Maschinen kauft, hat der Briefeschreiber offensichtlich immer noch nicht gehört oder gelesen.

Der öffentliche Dienst wird bei uns immer weiter abgebaut. Immer mehr Aufgaben, die er eigentlich haben müsste, werden privatisiert. Das heißt auch, dass immer weniger Menschen sichere Arbeitsplätze haben. Es stimmt, dass wir löchrige Straßen haben, Schwimmbäder schließen, es ist auch richtig, dass manche Städte jede zweite Straßenlaterne nicht mehr anschalten, weil sie die Stromrechnung nicht mehr bezahlen können. Insoweit stimmt die Beschreibung von Wüllenberger. Aber, liebe Griechen, daran seid ihr gewiss nicht schuld!

Liebe Griechen,

wir haben uns sehr gefreut, als wir euer Transparent gelesen haben: „Völker Europas, steht auf!!“ Der aufschreiber hat dazu schon geschrieben, was wir denken:

Vöker Europas, steht auf! Man könnte auch sagen: Proletarier aller Länder vereinigt euch!

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