Totgeglaubte leben länger – 60 Jahre DDR

Die DDR ist tot. Eigentlich ist sie tot. Vielerorts wird in diesen Tagen eine Wende gefeiert, die keine Wende war. Und eine Revolution war es auch nicht. Obwohl man – aus politökonomischer Sicht – sogar den Begriff durchgehen lassen könnte. Immerhin änderten sich die Produltionsverhältnisse. Aber es war kein Fortschritt. Das Volk der DDR wurde enteignet, auch wenn es nie geglaubt hatte, dass es jahrzehntelang die Herrschaft über die Produktionsmittel und sogar die politische Macht besaß. Das Volk entschied sich für Bananen und die D-Mark und hatte im Staatsbürgerkundeunterricht nicht aufgepasst, weil der langweilig war. Und natürlich war unsere Republik miefig, bieder und brav und manchmal auch kriminell. Aber sie war eben auch die Hoffnung auf Veränderung. Die Hoffnung auf eine friedliche, gerechte Gesellschaft. Auch für viele Menschen, die damals gar nicht wussten, dass sie so denken. Ein wirklicher Sozialismus braucht Menschen, die ihn wollen. Ohne die geht es nicht. Jenes: Wir wissen schon was gut für dich ist – und mach, was wir dir sagen! – das funktioniert eben nicht.

Fällt mir grad so ein: Wir (und damit meine ich die Menschen um mich herum) haben damals in der DDR alle gern den Spiegel gelesen. Wenn Angela – unsere Freundin aus München -, mutig wie sie ist, die gesammelten Zeitschriften eines halben Jahres mitbrachte (im Reisebus versteckt), dann stürzten wir uns auf die Artikel, egal, wie alt sie waren.

Jetzt taugt der Spiegel nicht einmal im Wartezimmer etwas. Da ziehe ich dann doch mein Buch vor. Schließlich gibt es ja Spiegel online, reicht auch.

Jedenfalls ist die tote DDR eben nicht tot. Das merkt man ganz deutlich und andauernd: An Wahlergebnissen, an den Ansprüchen von Menschen an Gerechtigkeit und Chancengleichheit, am Hass, der ihr entgegenschlägt, an unseren Wunden und unseren Narben – und auch an unseren begrabenen Hoffnungen. Die DDR sitzt jetzt wie ein Stachel im Fleisch des bundesdeutschen Kapitalismus.

Es gibt ja noch Hoffnung: Sie hat trotz allem überlebt. Die IDEE ist in uns nicht auszurotten. Und wir kennen ja die Fehler und Schwächen des gescheiterten Versuchs.

Trotz alledem: Herzlichen Glückwunsch zum 60. Jahrestag DDR!

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=FCf5QvM_TZQ[/youtube]

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4 Antworten zu Totgeglaubte leben länger – 60 Jahre DDR

  1. Reisender sagt:

    Hallo Maja,

    was war denn auf dem Video, dessen Rechte jetzt das Deutsche Rundfunkarchiv beansprucht, drauf?

  2. Maja Wiens sagt:

    Eine aktuelle Kamera – EXTRA DREI – anlässlich des 60. Jahrestages.

  3. Ein schöner Kommentar, liebe Maja,

    aus meiner „Wessi-Sicht“ gesehen schreibst Du über den immerhin größten Versuch in der Menschheitsgeschichte, das Auskommen der Menschen nach hermeneutischen Kriterien menschlicher Vernunft zu organisieren, statt nach den Kriterien des Profits.
    Anders wird’s in absehbarer Zukunft gar nicht gehen, – wenn ich nur an die wachsenden Slums weltweit denke.
    Es war ein gigantisches Unterfangen ohne Netz, weit komplizierter, als wollte ich einen Jumbo-Jet aus dem Stand realisieren und sofort starten. 🙂 Hoffentlich gehen die gemachten, rein technischen Erfahrungen nicht verloren, ganz abgesehen von den positiven wie negativen Erfahrungen mit der weltweiten menschlichen Natur.
    Die positiven Auswirkung z.B. auf den „feindlichen-feindseligen“ Westen, wie das Ende des Kolonialismus, Erlaubnis der Gewerkschaften, soziale Marktwirtschaft, usw. werden gerade von den sog. „Ossis“ und erst recht von den „Westpatrioten“ noch kaum gesehen, – wie man andererseits die unmendchlichen Exzesse des Kalten-Krieges auf beiden Seiten in ihrem Zusammenhang als Teufelskreis noch kaum verstehen kann oder will.

    soweit erstmal
    ganz herzlich
    Friedhelm

  4. Christoph Günther sagt:

    Hallo Maja,

    ja, die Idee ist nicht auszurotten – und sie dringt heute sogar ein in Köpfe, die dafür vorher verschlossen waren. Es ist immer noch das SEIN, das das Bewußtsein bestimmt.

    Schreib weiter so!

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