Ãœberlebensstrategie

Frau K. füttert eine Katze. Frau K. ist sehr alt, die Katze ist nicht ganz so alt, wenngleich auch nicht mehr jung und irgendwie halten die beiden einander am Leben. Vielleicht könnte die Katze – die möglicherweise ein Kater ist – ohne die tägliche Futtergabe sich irgendwie durchschlagen, aber es wäre schwierig.

In Pankow fressen die Füchse und die Waschbären und die Raben den Katzen alles weg.

Aber die Katze in der Maximilianstraße hat ja Frau K., die dafür sorgt, dass der Napf gefüllt wird. Frau K. wird bald ihren 100. Geburtstag feiern, doch es vergeht kein Tag, an dem sie nicht mindestens einmal den Weg von der Schönholzer Str. bis zur zu fütternden Katze zurücklegt.  Heute sitzt sie zum Ausruhen einen Moment auf dem Mäuerchen, das unseren Vorgarten vom Bürgersteig abgrenzt. Wir reden über Katzen und Ratten und über die jungen Meisen auf meinem Balkon.  Plötzlich springt die kleine, alte und zarte Frau auf, als sei sie von mindestens einer Tarantel gestochen worden und ruft empört: Lassen Sie das! Außer Atem sinkt sie ebenso schnell zurück. Ihre Aufregung bleibt ungehört, sie gilt einer jungen Frau, die einen Kinderwagen vor sich herschiebend telefoniert und ihre Umwelt kaum wahrnimmt.

Haben Sie das gesehen, fragt Frau K. mich aufgeregt, die Mutter hat dem Kind auf die Hände geschlagen. Ich habe es nicht gesehen. Aber ich glaube es ihr unbesehen.

Wissen Sie, sagt sie, ich habe mich immer eingemischt. Das ist gesund. Wer sich nicht einmischt, der wird davon krank. Man muss auch mit dem leben können, was man unwidersprochen geschehen lässt.

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