Zement frisst die Haut, nicht nur die Seele – „The Taste Of Cement“

Unterwegs nach irgendwo, mitten auf einer Landstraße der alten Art – links und rechts von Bäumen begrenzt – höre ich zum ersten Mal von „The Taste Of Cement“. Die Sonne scheint, der Raps blüht, wir fahren schönen Stunden entgegen. Ich merke mir Fetzen der Filmkritik und weiß, dass ich den Film sehen will.

Heute haben wir das Kino ganz für uns – zu zweit. Ein Dokumentarfilm, ein kleines Kino, Sonntag – dazu noch die Fußball-Weltmeisterschaft. Es gibt viele Gründe, nicht ins Kino zu gehen, heute noch ein paar mehr. Es ist kalt, und es nieselt.

Der Zuschauer begleitet syrische Bauarbeiter im Libanon, die nach dem Krieg Beirut aufbauen, während zu Hause der Krieg ihre Häuser zu Schutt werden lässt – Zementwolken. Er sieht sie und die Welt mit ihren Augen in ihren Augen. Das Meer, die Stadt am Meer von ganz oben…. Ein Film der Bilder, grandios schöne Bilder und schreckliche schöne Bilder und einfach nur entsetzlich schreckliche Bilder. Die Bilder graben sich ein. Die einen und die anderen. Sie treffen uns ganz direkt.

Die syrischen Arbeiter leben in den Kellern, im Untergeschoss, später werden hier vielleicht Autos abgestellt, sie hausen dort und bauen oben die Hochhäuser. Ausgangssperre ab 19:00 Uhr für die Gastarbeiter. Sie sind Fremde hier. „Die Bauarbeiter kommen immer erst, wenn der Krieg vorbei ist.“ Nach der Arbeit sehen wir sie hinuntergehen ins Dunkle. Wir sehen sie unten und oben. Wir sehen, was sie sehen – unten und oben. Wir blicken auf ihre Handys, wir sehen die Bilder im Fernsehen, die sie auch sehen. Wir sehen das weite blaue Meer, und wir sehen aus dem Panzer auf die zerstörte Stadt und sehen, wie sich das Rohr hebt. Der Film nimmt mit, weil er mitnimmt.

Ziad Kalthoum, der Filmemacher aus Syrien, durfte die Bauarbeiten drehen, aber nicht mit den Arbeitern reden. Der Filmemacher hat in Moskau studiert – ich meine, das merkt man – und lebt jetzt in Berlin. Sein Film ist ganz außergewöhnlich anders.

Es gibt eine einzige Stimme – sie kommt aus dem Off. Einer erzählt seine Geschichte. Sie beginnt mit dem Vater – und dem Geruch von Zement, den er von einer fernen Baustelle mit nach Hause bringt – und einer Tapete – ein Bild: das Meer und Palmen.  Der Sohn, der jetzt erzählt, sieht das Meer zum ersten Mal.  Wir sehen einen Arbeiter malen. Wir sehen ein Bild. Ein Mädchen, eine Frau. „Das Letzte woran ich mich erinnere, Du lagst mit Deinem Kopf schlafend auf dem Tisch. Tot.“

Zwischendrin sage ich einmal: Ich wünschte, diese Regierenden, die da miteinander über den Schutz der Grenzen vor Flüchtlingen reden, würden vor ihren Gesprächen diesen Film sehen.

Das Meer, so blau und der anders blaue Himmel dazu und das Rot des Kranes und das Beige der Felsen und das Rostbraun des Metalls, die Wolken so weiß am Himmel – die Welt hat wunderbare Farben.

Die Bilder sind miteinander verwandt – das Rohr des Panzers wie es suchend umherfährt und der Arm des Kranes kreisend über der Großstadt. Das Rauschen des Meeres und der Zement, wie er sich aus einem Rohr wellenförmig ergießt.

Ohrenbetäubender Lärm, Geschrei, weinende Kinder, die versuchen, aus einem eingestürzten Haus ins Freie zu gelangen. Wir sind dabei, wie versucht wird, Verschüttete zu bergen. Ganz nah, ganz dicht. Die Katze ist tot. Ein zwischen Zementteilen eingeklemmtes Kind sieht uns verzweifelt an. Das muss man aushalten.

Nach dem Kino ist die Welt immer noch die alte. Aber wir können sie vielleicht ein wenig besser verstehen. 

 

 

 

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