Wir von damals

Wir haben die runden und eckigen Küchentische verlassen. Wir saßen uns damals gegenüber, waren uns sah und schauten uns in die Augen, auch wenn wir keineswegs immer einer Meinung waren. Jetzt leben wir getrennt,  jeder in seiner anderen fremden Welt. Einzelne Gleichdenkende, Weiterbefreundete ausgenommen. Das sind die Wenigsten.

Im Allgemeinen führte uns der Weg inzwischen vom Wir zum Ich. Unsere Kreise berühren sich nicht mehr.

Die zufällige Wiederbegegnung, im Wartezimmer, auf der Bank im Park, im Café des Einkaufszentrums – das kurze Gespräch mit dem ehemals nahen Menschen offenbart die tiefen, trennenden Gräben. Gleiche Sprache, gleiches Land, gleiche Kultur – und doch, jeder geht mit dem eigenen Kopfschütteln aus der Begegnung. Das war es dann. Erneutes verabredetes Treffen von beiden Seiten unerwünscht. Im Höchstfall werden nicht unabsichtlich, sondern ohne Absicht Telefonnummern getauscht, weil man das eben so macht. So sind wir geworden. Die Stasi ist nicht schuld. Der Islam auch nicht.

Die unterschiedlichen Lebensverhältnisse – gesichert-ungesichert, spielen eine Rolle, sind aber nicht der einzige Grund. Viele ehemalige Kritiker der DDR, die sich als Sozialisten betrachteten, sind inzwischen zu Feinden der Idee geworden. Ehemalige Bürgerrechtler haben die Bürgerrechte längst vergessen und löffeln stolz den Honigbrei aus den Fresströgen des Kapitals. Ich behaupte, die meisten von ihnen haben sich schon immer vor allem für sich selbst interessiert und für ihren gesellschaftlichen Spiegel. Andere stehen sich auf imaginären Barrikaden gegenüber. Die linke Barrikade ist eine Ruine. Die rechte wächst.

Eines steht aber für mich fest: Wir von damals haben versagt. Die nackten landesweiten Tatsachen beweisen es.

Ängstliches Schweigen ist keine Lösung. Ich packe aber sicherheitshalber schon mal Koffer. Und rezitiere im Kopf – Heine und Becher – Denk ich an Deutschland in der Nacht – und  – Heimat meine Trauer…

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