Auch Freiberufler sind nicht frei! Sie nennen auch uns Humankapital!

Liebe Maja,

es gibt nicht nur die unsolidarischen Stinkreichen, es gibt auch ein Heer von Freiberuflern, die für Stinkreiche auf Honorarbasis arbeiten und sich in Monaten, in denen sie 1000,00 € auf ihrer Einnahmenseite verbuchen, glücklich schätzen. (Nicht alle Freiberufler sind als Künstler in der Künstlersozialkasse versichert. Es gibt auch Nichtkünstler.)

Eine fiktive Rechnung:

1000,00 € Einnahmen stehen gegenüber

– 250,00 € Warmmiete
– 50,00 € Energie
– 30,00 € Flatrate Internet/ Telefon
– 200,00 € gesetzliche KV (http://www.cecu.de/krankenversicherung-freiberufler.html)
– 20,00 € sonstige Gesundheitskosten (Quartals- u. Rezeptgebühren, Zuzahlungen)
– 75,00 € Mobilität (Auto oder Monatskarte ÖPNV)
– 18,00 € GEZ
– 15,00 € Hausrat-, Haftpflichtversicherung

Dem freiberuflichen Nichtkünstler bleiben nach Abzug dieser 658,00 € von seinem Honorar für Essen, Kleidung, Kultur und Bildung 342,00 €.

Es sei denn, er zahlt mit 196,00 € auch noch die 19,6 % Rentenversicherungsbeitrag. Dann blieben ihm 146,00 €. Mit diesem Einkommen ginge er dann zum Jobcenter und ließe aufstocken. Er könnte aber auch beschließen, nicht mehr zu arbeiten und als Arbeitsloser ausschließlich von ALG II zu leben bzw. dieses mit etwas Schwarzarbeit aufzubessern.

Deshalb verbreite auch ich den Aufruf, die Petition zu unterschreiben, im Internet.

Dieser Aufruf wird sicherlich auch, aber keineswegs nur, von Aktionären unterstützt.

So lange es Menschen gibt, die unsolidarisch bezahlt werden, gibt es auch unsolidarisches Beitragsverhalten.

Miri

Liebe Miri,

ich hoffe du nimmst mir nicht übel, dass ich deinen Kommentar hier als Zitat poste, aber sonst würde unsere Diskussion vermutlich kein Mensch lesen.

Deine Argumentation ist meines Erachtens falsch, weil schon ihre Eckannahmen nicht stimmen. Bei Freiberuflern, die nur 1000 € pro Monat auf der Einnahmenseite zu stehen haben, muss man natürlich fragen, wie viele Stunden sie arbeiten, um auf diese Summe zu kommen und welche Art von Arbeit das ist.

Arbeitet dein Beispielfreiberufler nur 10 Stunden und bekommt dafür die 1000 € – oder arbeitet er dafür 200 Stunden?

Du kannst es da schon wenden, wie du willst – es ist in jedem Fall etwas schief. Entweder hat er zu wenig Arbeit/Aufträge oder er wird zu schlecht bezahlt. Honorare von 10 € pro Stunde für Freiberufler sind nicht in Ordnung! Und wenn man davon ausgeht, dass die Auftraggeber nicht bereit sind, mehr zu bezahlen, dann liegt genau da die Schweinerei. Der Auftraggeber darf niemanden finden, der zu solchen Hungerhonoraren arbeitet! Es gehört auch zur Solidarität zu sagen: Das mache ich nicht, das ist zu schlecht bezahlt. Ansonsten drehen wir die Spirale immer weiter nach unten!

Liebe Miri, deinem freiberuflichen Nichtkünstler verbleiben nach deiner Rechnung für Essen, Kleidung, Kultur und Bildung 342,00 €. Davon kann man auf Dauer nicht menschenwürdig leben.

Folgt man deiner Argumentation, müsste man deinem Freuberufler also auch die gesetzliche Krankenversicherung erlassen, die ihn 196 € kostet. Dann hätte er schon 538 € – WOW!

Allerdings wäre dann eine Blinddarmentzündung oder ein gebrochener Arm ein Problem, denn für die entsprechende Behandlung wäre sein Monatsbudjet garantiert nicht ausreichend. Es sei denn, der Arzt wäre ein Freiberufler, der für 7 € in der Stunde arbeitet und keinerlei Betriebskosten  (Praxismiete, Angestellte etc.) hat.

Liebe Miri, ich würde gern wissen, aus welchen Berufsgruppen das von dir genannte Heer von Freiberuflern besteht, das man wegen geringer Einkünfte vor einer Rentenversicherungspflicht „bewahren“ muss. Lehrer, Dozenten, Pflegekräfte, Physiotherapeuten und selbständige Handwerker sind auch jetzt schon rentenversicherungspflichtig.

Auch deine Argumentation, der arme Freiberufler müsse dann zum Jobcenter und aufstocken, kritisiert am falschen Ende. Dass die abhängig vollzeitarbeitende Friseurin aufstocken muss, ist doch genauso ein Skandal. Soll die jetzt auch nicht mehr rentenversichert werden, weil dann ihr und dem Arbeitgeber mehr „Netto vom Brutto“ bleibt?

Dein armer Freiberufler muss übrigens auch ohne Rentenversicherungspflicht aufstocken gehen, falls er ein Kind hat oder statt der 1000 € nur 700 einnimmt.

Ich bin gespannt, was du dazu sagst.

Ich habe es gerade noch mal gehört und denke es passt, der Text ist absolut aktuell:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=bcllk8-wEy0[/youtube]

 

 

 

 

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4 Antworten zu Auch Freiberufler sind nicht frei! Sie nennen auch uns Humankapital!

  1. aufschreiber sagt:

    Du hast recht Maja – und ich habe noch ein paar mehr Kritikpunkte.

    Diese aufgedröselten 1000 Euro eines fiktiven Freiberuflers sind ein Bruttoeinkommen. Zieht man die Kosten für die gesetzlich ohnehin verbindliche Krankenversicherung und die beruflich bedingten wie Telefon oder Auto/Monatskarte ab, kommt ein Einkommen unter dem Hartz IV-Satz heraus.

    Darüber hinaus würde mich mal interessieren, wie viele Menschen – sogar in Berlin – für 250 Euro warm wohnen.

    Resultat: Ein Freiberufler der 1000 Euro Umsatz macht (das geschilderte ist eben kein verbleibendes Einkommen) ist kein Freiberufler, sondern ein Arbeitsloser mit geringfügigem Zusatzeinkommen. Ohne Hartz IV Aufstockung ist ein menschenwürdiges Leben gar nicht möglich und mit auch nicht, weshalb der Hartz IV-Satz dem Bundesverfassungsgericht bereits – veranlasst durch die Sozialgerichte – erneut zur Ãœberprüfung vorliegt.

    Also: Bei der von Ursula von der Leyen geplanten Rentenversicherungspflicht für Freiberufler geht es keineswegs um Menschen, die ohnehin unter dem Existenzminimum leben, sondern um den berühmten „Zahnarzt“, der Geld scheffelt und sich den Sozialversicherungssystemen durch private Krankenversicherung statt gesetzlicher Krankenkasse und Verweigerung der Einzahlung in die Rentenversicherung entzieht. Und das ist erst einmal gut so.

    Aber auch das ist, wie alles, was diese Regierung tut und will eine Mogelpackung. Zum einen, weil die privaten Krankenversicherungen erhalten bleiben, zum anderen, weil es jede Menge Möglichkeiten gibt, die Einzahlungen in die Rentenkassen trotzdem noch zu umgehen.

    Wie auch immer: Um den 1000-Euro-Umsatz-Schein-Freiberufler geht es garantiert nicht.

    Grüße vom aufschreiber

  2. Miriam sagt:

    Oh, eure Antworten schreien nach einer Antwort, ihr habt Recht und ihr habt Unrecht – jeweils auf andere eurer Kritikpunkte bezogen – aber ihr müsst euch noch gedulden, ein wenig jedenfalls. Ich schreibe gerade an einem neuen Konzept für den KiB e.V. und an den Texten für dessen neue Website und brüte über einer neuen Sozial- und Kulturmarketing-Strategie eben dieses Vereins und treffe mich mit Menschen, mit denen ich darüber diskutiere, wie sich die Verdrängung der angestammten Bevölkerung aus dem Wedding verhindern oder zumindest eingrenzen lässt… Ehrenamtlich logischerweise… Wer bezahlt schon Menschen für gegen den Mainstream ausgerichtetes Handeln? Geld verdiene ich aber auch, und zwar nicht als irgendwo Angestellte und in der Größenordnung wie mein fiktiver freiberuflicher Nichtkünstler… Und Menschen wie mich gibt es viele…

    Die Pläne der Ursula von dem Leiden packen das Problem der sozialen Schieflage und des unsolidarischen Handelns nicht an der Wurzel.

    Eine etwas ausgefeiltere Antwort folgt demnächst. Geduld bitte!

  3. Miriam sagt:

    Wen konkret, also welche Berufsgruppen, meine ich mit dem von mir erfundenen freiberuflichen Nichtkünstler? Außer den viel diskutierten „Zahnärzten“ und „Physiotherapeuten“, von denen nicht alle wirklich reich sind, meine ich vor allem freiberuflich tätige Menschen unterschiedlichster Berufe bzw. Ausbildungen mit Aufträgen bzw. Aushilfstätigkeiten in verschiedenen Bereichen, für die sie Honorare erhalten, also keine 400,00 €-Jobber, denn die bleiben beitragsbefreit, es sei denn es kommt weiteres Einkommen hinzu. Das können z.B. Künstler sein, die mit ihrer Kunst weniger als 325,00 € im Monat verdienen und daher von der Künstlersozialkasse nicht als Künstler akzeptiert werden und nebenbei berufsfremd kellnern oder vergleichbare Hilfsarbeiten verrichten. Ich meine Menschen, die auf Honorarbasis vom Existenzminimum oder auch etwas weniger leben, aber nicht zum Jobcenter gehen (wollen). Die müssten sich, wenn sie rentenversicherungspflichtig würden, beim Jobcenter melden und es ist gut vorstellbar, dass sie ihren vorherigen Erwerbstätigkeiten weiterhin nachgingen, dann allerdings „schwarz“.
    Es geht keineswegs allen, die die Petition gegen das Eckpunktepapier von Frau von der Leyen unterschreiben, darum, ein gerechtes Rentensystem, in dem alle in EINE Kasse einzahlen, zu verhindern. Wenngleich es die natürlich auch gibt, da habt ihr vollkommen Recht. Aber an dieser Ungerechtigkeit will Frau von der Leyen gar nichts ändern, die privaten Versicherer tastet sie nicht an. Wer ausreichend private Vorsorge nachweisen kann, muss auch ab 2013 nicht in die gesetzliche Versicherung einzahlen, sofern seine Absicherung die Kriterien, nach denen Rente definiert ist, erfüllt. In der Tat muss dann der „Zahnarzt“, der bis jetzt nur Aktien und Fondanteile gekauft hat, um mit den Gewinnen sein Leben im Alter zu finanzieren, anfangen, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Wenn er ausreichend riestert oder rürupt, muss er das nicht.
    Problematisch sind die Vorschläge aus dem Arbeitsministerium für die, die keinen Rentenversicherungsschutz haben. Das sind nicht zwingend die Superreichen, sondern die working poor.
    Dass mein fiktiver freiberuflicher Nichtkünstler ohnehin schon Kunde beim Jobcenter ist, stimmt m.E. Nicht, denn es bleibt ihm zwar nach Abzug aller Fixkosten tatsächlich etwas weniger als der Regelsatz, aber ich haber etliches rausgerechnet, was nach SGB II vom Regelsatz zu bezahlen wäre: Energie (abzüglich Heizenergie), Gesundheitskosten, Fahrgeld… Wer mit einem Einkommen von 1000,00 € zum Jobcenter geht, wird abgewiesen, es sei denn, er/ sie hat 1 Kind/ Kinder. Mein fiktiver freiberuflicher Nichtkünstler ist Single.

    Und für ca. 250,00 € warm wohnen übrigens – auch in Berlin – alle, die aus Kostengründen auf eine eigene Wohnung verzichten und stattdessen ein WG-Zimmer bewohnen, und darüber hinaus noch vereinzelte „Glückspilze“ wie Gaja oder ich mit kleinen Wohnungen, die noch nicht saniert sind und sich in schlechter Wohnlage befinden.

    In gewisser Weise ist die Diskussion hier aber schwierig, und zwar insofern, als wir hier über ein Eckpunktepapier herziehen, das inkonkret ist und großen Interpretationsspielraum lässt. Was beispielsweise sind „pragmatische“ Übergangsregelungen für die 30 bis 50jährigen? Viele derer, bei denen das Papier Angst schürt, sind zwischen 30 und 50, also nicht die Hauptzielgruppe, aber auch nicht völlig aus dem Gefecht. Und da Frau von der Leyen Journalisten gegenüber geäußert hat, dass man in ihrem Ministerium nicht genau wisse, wie es um die Altersvorsorge Selbstständiger tatsächlich bestellt ist, und deshalb eine Machbarkeitsstudie bei McKinsey in Auftrag gegeben sei, halte ich es für legitim, wenn Selbstständige McKinsey etwas „helfen“ und Frau von der Leyen sagen, wie es um ihre finanzielle Situation bestellt ist. Die Dame ist ahnungslos. Sie schließt von sich auf alle anderen. Sie hat keine finanziellen Probleme.

    Gegen Solidarität habe ich nichts, aber auch wirklich gar nichts einzuwenden!

    Und dass wir uns in einer sozialen Schieflage befinden, die sich nicht zuletzt in Löhnen ausdrückt, mit denen ein menschenwürdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe nicht für alle möglich sind, habe ich mit meinen Worten nicht bestritten, sonst stünde am Ende nicht: So lange es Menschen gibt, die unsolidarisch bezahlt werden, gibt es auch unsolidarisches Beitragsverhalten.

  4. aufschreiber sagt:

    Also, nun sind wir bei dem 400-Euro-Jobber, der mit seiner Kunst weniger als 325 Euro monatlich dazu verdient und deshalb bei der KSK nicht versichert ist.

    Tut mir leid Miri, stimmt so auch nicht. Innerhalb von sechs Jahren darf ein Künstler zwei Jahre unter dem Einkommenslimit bleiben, ohne seine KSK-Mitgliedschaft zu verlieren.

    Wer aber auf Dauer unter dem Existenzminimum verdient, ist eben kein Freiberufler, sondern ein Hobbykünstler. Und Hobbys sind weder kranken- noch rentenversicherungspflichtig.

    Dass Frau von der Leyen sozialpolitisch nicht das „sharpest tool in the box“ ist, bedarf nicht der Erläuterung.

    Dass aber im Kapitalismus Menschen „unsolidarisch bezahlt“ werden, ist bereits a priori eine absurde Argumentation. Wer soll sie denn solidarisch bezahlen? Der Kapitalist? Der von Kapitalismus beherrschte Staat? Und die, mit denen solidarisch zu sein mindestens moralische Pflicht ist, die haben selbst nichts – außer Minimaleinkommen/ALG 1 oder Hartz IV.

    Wie wissend oder unwissend die Ministerin auch sein mag – der 1000-Euro-brutto-Schein-Freiberufler wird nicht betroffen sein. Der fällt so oder so der Altersarmut anheim und lebt später von Grundsicherung.

    Aber natürlich wird er nach Abzug aller Betriebskosten wie Telefon, Internet, Computer, Drucker, Papier, Arbeitszimmeranteil (bei einer Einzimmerwohnung, sonst Arbeitszimmer ohne „Anteil-Aufgliederung“) zu einem Einkommen gelangen, mit dem ihn nicht mal das Jobcenter wegschicken kann.

    Last not least: Es gibt auch kaum mehr WG-Zimmer für 250 Euro warm. In Berlin nicht und in anderen Großstädten (die Welt endet nicht an der Berliner Stadtgrenze) überhaupt nicht.

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