Notate für ein kurzes (Dokumentar-, Theater-) Stück aus dem Leben – Dresden 2010

Spielort: Dresden 2010. Auf dem Neustädter Bahnhofsvorplatz versammeln sich tausende Nazis zu einer großen Kundgebung und einer anschließenden Demonstration,  geschützt von noch mehr Polizisten, die Straßen in der Umgebung sind von Polzeikräften abgeriegelt, niemand kommt durch, der nicht glaubhaft machen kann, zu den Nazis zu gehören. Es gibt lediglich zwei andere Möglichkeiten durch die Absperrungen zu dürfen: der Besitz einer gültigen DB-Fahrkarte  oder ein Presseausweis. Öffentliche Verkehrsmittel fahren nicht mehr.

Der Gastraum eines bekannten amerikanischen Burgerherstellers im Bahnhof – große Fenster geben die Sicht auf das verschneite Draußen frei.

Personen:

150 Polizisten und Polizistinnen in unterschiedlichster Uniformausstattung, die ständig durch den Raum laufen, um die Toiletten des Burgerrestaurants zu benutzen, weitere 50, die am Tresen nach Kaffee und Burgern anstehen und offenbar für die Kollegen draußen gleich mit einkaufen. Zwischen den sitzenden Restaurantbesuchern und den Polizisten gibt es keienrlei Kommunikation.

Tisch 1: Drei Glatzköpfe, durchgängig schwarz gekleidet, auf dem Rücken jeweils ein weißer Aufnäher: Anti-Antifa,

Tisch 2: Ein Großelternpaar mit seiner Enkelin, gestrandet an diesem Bahnhof, von dem augenscheinlich keine Züge abgehen…

Tisch 3:  Berichterstattungsteam aus Israel, 2 Männer, 3 Frauen – alle zwischen 50 und 60 Jahren alt und gut deutsch sprechend.

Tisch 4: Ein junger Türke aus Deutschland, Anfang 30, Wohnort Berlin, Geburtsort Hamburg…

Tisch 5: Eine Gruppe junger Leute, bunt gekleidet, etwa zur Hälfte Mädchen und Jungen, mal sind es sechs, mal sind es acht – es wird häufig telefoniert …

Tisch 6: Ein junger Mann und seine Freundin. Sein schwarzes T-Shirt hat einen Aufnäher auf der Rückseite: MEDIEN

Tisch 7: Ein Mann, 45, der die „Le Monde“  liest, neben ihm ein riesiges Holzstativ und ein Fotografenkoffer

Tisch 8: Ein Ehepaar, sie 80 Jahre alt – er noch etwas älter – aus Dresden

Tisch 9: Drei junge Studentinnen aus Köln, Studenten. Zwei von ihnen Kinder von Migrantinnen…

Tisch 10: Eine Dresdnerin, Ende 20, Medienpädagogin und Historikerin und ein Paar aus Berlin, beide Mitte 50, Besitzer von Presseausweisen…

Zitate:

„Deutschlands ganzer Müll passt auf einen Bahnhofsvorplatz“

„Schade, das Churchil tot ist“

„Ich hatte noch nie so eiskalte Füße“

„…und dann riß der Wolf sein riesiges Maul auf und schnappte sich die Großmutter und schluckte sie herunter!“

„Jeder dritte Polizist ist doch selbst rechtsradikal“

„Schuld  ist die jüdische Weltverschwörung“

„Das da draußen sieht aus wie eine Verkaufsausstellung von Thor Steinar“

„Weder Straßenbahn noch Bus, das ist ein Skandal!“

„Die Kameraden aus Sachsen sollen noch kommen“

„Linke Votzen. Wir kriegen euch alle“

Und so weiter und so weiter…

1.  Akt

Scheinwerfer auf die Tische 8, 9 und 10,

Das Rentnerehepaar aus Dresden, die drei Kölner Studenten, das Paar aus Berlin und die Medienpädagogin

Das Rentnerehepaar aus Dresden hat einen der begehrten Fensterplätze.  Als es so aussieht, als wollten die beiden gehen, steht die die Berlinerin vom Nachbartisch auf. Ihr ist kalt, und am Fenster gibt es eine heiße Heizung.

Wird hier frei?

Die Rentnerin, zieht sich die Jacke an.

Ja, gleich. Noch länger warten, macht es auch nicht besser. Schlecht organisiert. Nichts fährt.

Die Berlinerin: Daran haben die Dresdner aber eine Mitschuld. So viele Nazis, das muss man einfach verhindern! Dass Dresden das bisher nicht geschafft hat…

Der Rentner, inzwischen auch stehend, aber den Zugang zu seinem Sitzplatz verstellend: Nazis gibt es doch gar nicht mehr…

Die Berlinerin: Doch, gucken Sie einfach mal nach draußen!

Der Rentner: Ach, wenn das nur welche wären. Dann würden die mal Ordnung schaffen. Die haben damals viel zu wenig Seife gemacht!

Die Berlinerin glaubt sich verhört zu haben.

Wie bitte, was haben Sie eben gesagt?

Der Rentner, nun etwas lauter und deutlich: Die haben damals viel zu wenig Seife gemacht.

Dann geht das Paar. Als die Berlinerin sich umdreht, greift eine Studentin nach ihrem Arm:

Gehen Sie nicht, nicht wegen denen!

Die Szene ist nicht erfunden. Die Szenerie auch nicht. Ich wünschte, wir Nazigegner hätten die jungen Nazis aus dem Restaurant gejagt.

Aber diese Szene muss ich noch erfinden.

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