Keine Gnade!

Es sei eine Gnade, schrieb mir jemand, gedruckt zu werden.

Das ist falsch.

Gute Verleger sind dankbar, wenn sie Texte guter Autoren veröffentlichen dürfen. Von diesen Verlegern gibt es wohl immer weniger, aber einige leben noch.

Ob es unter den Zeitungsverlegern auch welche gibt, die sich nach guten Journalisten verzehren, das weiß ich nicht.

Wer in diesem Land gegen den Mainstream schreibt, wird es schwer haben – wie in anderen Ländern auch. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum mancher Text nicht veröffentlicht wird. Manchmal liegt es auch daran, dass sich Schreiber weigern, für zu wenig Geld zu schreiben. Obwohl sie gedruckt würden. Und so wird mancher gute Text nicht gedruckt, weil er gar nicht geschrieben wird.

In den letzten Jahren haben sich – und das jedenfalls ist meines Erachtens deutlich – Zeitungs- und Zeitschriftenmacher eindeutig gegen die Qualität entschieden – zu Gunsten von Billigproduktionen.

Es wird immer ein Unterschied sein, ob der Berichterstatter ein Augen- und Ohrenzeuge ist, oder nur Nachrichten aus zweiter Hand vermarktet. Dabeisein ist teuer. Recherche ist teuer.

Wenn ein Journalist für die Rezension eines Buches nur 16 Cent pro geschriebener Zeile bekommt, dann sollte das Buch möglichst kurz und die Rezension sehr lang sein. Schreibt er nämlich 300 Zeilen – das ist sehr viel – landet er bei 48 €. Nehmen wir an, das Buch ist zufällig auch 300 Seiten lang und unser geübter Journalist liest  genau eine Seite in der Minute, dann liest er schon fünf Stunden am Buch. Um die die 300 Zeilen zu schreiben, lassen wir ihn genau 3 Stunden brauchen. Dann hat unser guter Journalist genau 8 Stunden für 48 € gearbeitet. Macht 6 € pro Stunde. Brutto! Davon bezahlt er dann Kranken-, und Pflegeversicherung und kümmert sich auch um seine Altersvorsorge. Natürlich kann er von dem Rest nicht leben, aber vielleicht hate er eine Frau, die gut verdient.

So kommt es, dass Rezensionen geschrieben werden, von Rezensenten, die das Buch, das sie rezensieren gar nicht gelesen haben, oder allenfalls nur die ersten 3 Seiten. Unter den günstigsten Umständen gelingt es einem begabten Schreiber, die Rezension anderer Kollegen umzuschreiben und aus Zitaten und Verlagsankündigungen innerhalb von 3 Stunden den geforderten Artikel herzustellen. Dann kommt er auf gewaltigen Stundenlohn von immerhin 16 € . Nach Abzug aller Beiträge und Kosten könnte er so auf einen realen Stundenlohn von 8 € kommen. Allerdings bräuchte er täglich mindestens drei solcher Aufträge, um von seiner Arbeit bescheiden leben zu können, aber wenn er zwei Aufträge bekommt, muss er sich schon glücklich schätzen.

Es ist keine Gnade, wenn der Journalist gedruckt wird. Er wird gedruckt, weil man an seiner Arbeit verdienen kann. Er kann keine gute Arbeit leisten, weil er dazu gar keine Zeit hat. Die Zeche zahlen der Journalist und seine Leser. Wenn sich die Leser verweigern, bekommt der Journalist überhaupt keine Aufträge mehr, denn die Zeitung wird eingestellt oder mit einer anderen zusammen gelegt.

Der Journalist bekommt einen Herzinfarkt oder wird zum Alkoholiker. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Journalisten liegt fast 30 Jahre unter der eines evangelischen Pfarrers.

Wenn unser Journalist arbeitsunfähig oder tot ist, bekommt einer seiner Kollegen ein tolles Angebot. Er soll eine Rezension schreiben, 300 Zeilen für das Haßfurter Tagblatt – Zeile 0,10 €.

Es ist eine Gnade, sagt der Auftraggeber und lächelt süffisant, wenn man heutzutage gedruckt wird, was glauben Sie, wie viele gern für uns schreiben wollen…

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Meldung auf mediafon über das Honorar beim Haßfurter Tagblatt von heute: 0,10 Cent pro Zeile

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Herr X vom Bezirksamt Y bat mich um eine Lesung und fragte nach meiner Honorarforderung. Ich nannte ihm die untere Grenze des vom VS empfohlenen Honorars für Lesungen. 200 €.

Aber Sie lesen doch nur eine Stunde vor und dann ist Diskussion.

Als ich ihn fragte, ob er einen Text hätte, den er eine Stunde lang vorlesen könnte, schüttelte er den Kopf.

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Korrektorat (Zeichensetzung, Grammatik, Rechtschreibung) ab 32.- €/h

stillistisches Lektorat (Prüfung von Stil/Ausdruck) ab 42.-€/h

Standardlektorat (stilistische und inhaltliche Prüfung) ab 47 €/h

So lauten die Honorarempfehlungen für freiberufliche Lektoratsarbeit (Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V.).

Von den 32 €/h bleiben – wie eine grob repräsentative Beispielrechnung des Vereins belegt, durchschnittlich unter 8 €/h übrig – geringere Honorare sind also abzulehnen!
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Georg Herwegh
Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein

You are many, they are few.
(Eurer sind viele, ihrer sind wenige.)

Bet‘ und arbeit‘! ruft die Welt,
Bete kurz! denn Zeit ist Geld.
An die Türe pocht die Not –
Bete kurz! denn Zeit ist Brot.

Und du ackerst und du säst,
Und du nietest und du nähst,
Und du hämmerst und du spinnst –
Sag‘, o Volk, was du gewinnst!

Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht,
Schürfst im Erz- und Kohlenschacht,
Füllst des Überflusses Horn,
Füllst es hoch mit Wein und Korn.

Doch wo ist dein Mahl bereit?
Doch wo ist dein Feierkleid?
Doch wo ist dein warmer Herd?
Doch wo ist dein scharfes Schwert?

Alles ist dein Werk! o sprich,
Alles, aber nichts für dich!
Und von allem nur allein,
Die du schmiedst, die Kette, dein?

Kette, die den Leib umstrickt,
Die dem Geist die Flügel knickt,
Die am Fuß des Kindes schon
Klirrt – o Volk, das ist dein Lohn.

Was ihr hebt ans Sonnenlicht,
Schätze sind es für den Wicht;
Was ihr webt, es ist der Fluch
Für euch selbst – ins bunte Tuch.

Was ihr baut, kein schützend Dach
Hat’s für euch und kein Gemach;
Was ihr kleidet und beschuht,
Tritt auf euch voll Ãœbermut.

Menschenbienen, die Natur,
Gab sie euch den Honig nur?
Seht die Drohnen um euch her!
Habt ihr keinen Stachel mehr?

Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.

Deiner Dränger Schar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn du rufst: Es ist genug!

Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

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